E-Commerce und Dropshipping im Spannungsfeld Umsatzsteuer

Durch das JStG 2020 wurde § 3c UStG geändert und die länderspezifischen Lieferschwellenregelungen durch eine EU-weite einheitliche Lieferschwelle in Höhe von 10.000,00 € für Fernverkäufe (distance sales) ersetzt.

Nach der gesetzlichen Definition des § 3c Abs. 1 Satz 2 UStG ist ein innergemeinschaftlicher Fernverkauf die Lieferung eines Gegenstands, der durch den Lieferer oder für dessen Rechnung aus dem Gebiet eines Mitgliedstaates in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates befördert oder versendet wird. Bei dem Erwerber muss es sich um eine Privatperson oder eine dieser gleichgestellten Person handeln (§ 3c Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 3a Abs. 5 UStG). Der Transport muss auf Veranlassung des Onlinehändlers erfolgt sein.

Hinweis:
Nach der Intention des Gesetzgebers ist der Begriff der Transportveranlassung sehr weit zu fassen. Es soll u. a. bereits ausreichend sein, wenn der Onlinehändler die Transportleistungen eines Spediteurs bewirbt oder diesem die notwendigen Informationen für die Auftragserteilung überlässt. Hier bietet sich Gestaltungspotenzial für den Onlinehändler.

Liegt ein innergemeinschaftlicher Fernverkauf per Definition vor, liegt der umsatzsteuerliche Leistungsort nach § 3c Abs. 1 Satz 1 UStG grundsätzlich dort, wo sich der Gegenstand bei Beendigung der Beförderung an den Erwerber befindet. Dies gilt einschränkend jedoch nur dann, wenn der Gesamtbetrag der Entgelte aus den Fernverkäufen eines Kalenderjahres den Betrag von 10.000,00 € überschreitet.

Beispiel 1
Der in Deutschland ansässige Unternehmer U verkauft im Jahr 2022 Waren an Privatpersonen in Frankreich für ein Entgelt in Höhe von insgesamt 4.000,00 €, und an Privatpersonen in Spanien verkauft er Waren für ein Entgelt in Höhe von insgesamt 3.000,00 €.

Lösung
Da die EU-weite Geringfügigkeitsschwelle von 10.000,00 EUR pro Jahr nicht überschritten wurde (4.000,00 € + 3.000,00 € = 7.000,00 €), liegt der Leistungsort nicht gemäß § 3c Abs. 1 UStG in den jeweiligen Bestimmungsländern Frankreich und Spanien. Vielmehr hat der Unternehmer auf den Rechnungen deutsche Umsatzsteuer in Höhe von 19% auszuweisen und die Umsatzsteuer an das deutsche Finanzamt abzuführen.

Beispiel 2
Wie Beispiel 1. Das Gesamtentgelt für die Lieferungen nach Frankreich beträgt jedoch 7.000,00 € und für die Lieferungen nach Spanien beträgt das Gesamtentgelt 8.000,00 €.

Lösung
Die Lieferschwelle von 10.000,00 € ist überschritten und der Fernverkäufer hat ab dem 10.001,00 € auf den Rechnungen die Umsatzsteuer des Bestimmungslandes auszuweisen (Frankreich: 20%, Spanien: 21%). Dies führt grundsätzlich dazu, dass sich U in Frankreich und Spanien jeweils umsatzsteuerlich registrieren und dort auch Umsatzsteuervoranmeldungen abgeben muss. U hat die Umsatzsteuer in Spanien bzw. Frankreich abzuführen. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn U das OSS-Verfahren nutzt (dazu sogleich).

Der Unternehmer kann von Anfang an auf die Anwendung der Liefer- bzw. Umsatzschwellenregelung verzichten. Dies ist z. B. dann sinnvoll, wenn der Umsatzsteuersatz im Bestimmungsland niedriger ist als in Deutschland. Zu beachten ist, dass ein Verzicht den Unternehmer für 2 Jahre bindet.

In der Praxis können sich bereits bei der Definition eines Fernverkaufs zahlreiche Fragen stellen. Diese können u. a. die Qualifizierung des Erwerbers als Privatperson sowie die Aufschlüsselung der für die Ermittlung des Schwellenwertes (10.000,00 €) zu berücksichtigenden Umsätze betreffen.

Folgende Fragen stellen sich:

• Handelt es sich beim Erwerber um eine Privatperson i. S. d. UStG?
  • Was gilt, wenn der Kunde eine Ware für private Zwecke an die Firmenadresse liefern lässt?
  • Was gilt, wenn ein Kunde als (freiberuflicher) Einzelunternehmer tätig ist und sich Ware für sein Unternehmen an seine Wohnanschrift liefern lässt? Liegt ggf. eine innergemeinschaftliche steuerfreie Lieferung (bzw. ein innergemeinschaftlicher Erwerb) vor?
• Was gilt, wenn Rechnungsadresse und Lieferadresse voneinander abweichen?
  • Hier ist unbedingt auf eine korrekte umsatzsteuerliche Abbildung in der Buchhaltung/ERP zu achten.

• Welcher Umsatzsteuersatz gilt eigentlich für die jeweilige Warenlieferung nach dem Umsatzsteuerrecht im Bestimmungsland, wenn der Leistungsort wegen Überschreitung der Lieferschwelle nach § 3c im Bestimmungsland liegt? Regelsteuersatz? Ermäßigter Steuersatz?
• Gibt es weitere Meldepflichten im jeweiligen Bestimmungsland?
  • Verpackungssteuer?
  • Umweltsteuer?

Die grundsätzlich erforderliche umsatzsteuerliche Registrierung und Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen in dem jeweiligen Bestimmungsland bei Überschreiten der Lieferschwelle von 10.000,00 € führt zu einem hohen Verwaltungs- und Kostenaufwand für die Onlinehändler.

Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber mit Wirkung zum 01.07.2021 zur Entlastung der Onlinehändler u. a. den § 18j UStG eingeführt. Nach dieser Vorschrift können Onlinehändler bzw. Unternehmer mit Sitz in der EU das sog. One-Stop-Shop Verfahren (OSS-Verfahren) nutzen. Onlinehändler mit Sitz in Deutschland können – wenn die Umsatzschwelle von 10.000,00 € überschritten wurde – im OSS-Verfahren ihre innergemeinschaftlichen Fernverkäufe und auch ihre sonstigen Leistungen an Privatpersonen, welche in einem anderen Mitgliedstaat umsatzsteuerpflichtig sind, beim Bundeszentralamt für Steuern zentral melden. Die Nutzung des OSS-Verfahrens hat den Vorteil, dass sich der Unternehmer in den einzelnen Bestimmungsländern grundsätzlich nicht mehr umsatzsteuerlich registrieren und auch keine USt-Voranmeldungen mehr im Bestimmungsland abgeben muss. Der Unternehmer zahlt die Umsatzsteuer einmal für sämtliche Fernverkäufe einer Abrechnungsperiode an das Bundeszentralamt für Steuern, welches die einzelnen Umsatzsteuerbeträge an die Bestimmungsländer weiterleitet.

Die Fälle mit Drittlandsbezug (z. B. Import-OSS nach § 18k UStG) sollen hier außer Betracht bleiben.

Hinweis:

• Das OSS-Verfahren kann für die relevanten Umsätze nur einheitlich für alle Bestimmungsländer genutzt werden. Sollte der Unternehmer daneben noch andere Umsätze in das Bestimmungsland ausführen (z. B. innergemeinschaftliches Verbringen), kann und muss er diese weiterhin daneben im Bestimmungsland i. R. d. „normalen“ Veranlagungsverfahrens deklarieren.
• Besondere Vorsicht bei der Nutzung des OSS-Verfahrens ist im Rahmen von Dropshipping-Strukturen (Reihengeschäfte) im Onlinehandel geboten. In vielen Fällen wird das OSS-Verfahren hier – ggf. seit Jahren – unzulässigerweise genutzt. Dies kann dazu u. U. zu einem steuerstrafrechtlich relevanten Verhalten führen (siehe hierzu unten) und macht eine umsatzsteuerliche Aufarbeitung der Vergangenheit sowie eine Optimierung der umsatzsteuerlichen Prozesse für die Zukunft erforderlich.
• Wenn der Onlinehändler darüber hinaus auch am FBA oder PAN-EU Programm teilnimmt, sind in der Buchhaltung mindestens zwei Buchhaltungsstränge/ERP-Stränge abzubilden und es besteht weiterhin eine umsatzsteuerliche Registrierungs- und Deklarationspflicht in den Bestimmungsländern.

Eine Teilnahme am OSS-Verfahren ist vor dem Hintergrund der Zeit- und Kostenersparnis grundsätzlich zu empfehlen. Einzig die fehlende Möglichkeit der Geltendmachung des Vorsteuerabzugs im OSS-Verfahren kann unter Umständen für ein Optieren für das Veranlagungsverfahren sprechen. Hier kann sich eine einzelfallbezogene Abwägung unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten lohnen. 

Die Mehrzahl der Onlinehändler nutzen sog. Fulfillment Strukturen (FBA, PAN-EU), um ihren Absatzmarkt zu erweitern und eine möglichst schnelle Lieferung an den Kunden zu gewährleisten. Bei Nutzung von mehreren Warenlagern in verschiedenen Mitgliedstaaten können komplexe Strukturen entstehen, die eine dezidierte Auseinandersetzung mit umsatzsteuerlichen Fragen erfordert.

Zur Veranschaulichung soll folgender Sachverhalt gewürdigt werden:

Onlinehändler U mit Sitz in Deutschland nutzt das Amazon FBA Programm. Die Waren werden aus Deutschland in die einzelnen Lagerländer verbracht, u. a. in das Warenlager nach Spanien und Italien. Aus dem Warenlager in Spanien werden Kunden in Portugal mit einem Gesamtentgelt in Höhe von 8.000,00 € beliefert. Aus dem Warenlager in Italien werden Kunden in Österreich mit einem Gesamtentgelt in Höhe von 7.000,00 € beliefert.

Lösung
Durch die Verschiebung der Waren aus Deutschland in die einzelnen Lagerländer löst der Unternehmer in Deutschland ein sog. innergemeinschaftliches Verbringen (igV) aus. Das igV hat der U in seiner deutschen UStVA zu melden. Gleichzeitig bewirkt die Verschiebung in dem jeweiligen Lagerland einen (fiktiven) innergemeinschaftlichen Erwerb nach dem nationalen Umsatzsteuerrecht des Lagerlandes durch den U selbst. Dieses Verbringen löst in jedem Fall umsatzsteuerliche Registrierungs- und Meldepflichten in dem jeweiligen Lagerland aus.

Die anschließenden grenzüberschreitenden Fernverkäufe aus dem jeweiligen Lagerland in ein anderes EU-Land können nun gleichwohl über das OSS-Verfahren gemeldet werden, denn die EU-weite Lieferschwelle in Höhe von 10.000,00 € ist hier überschritten (8.000,00 € + 7.000,00 € = 15.000,00 €). Der Leistungsort liegt hier in den Bestimmungsländern Portugal und Österreich, sodass auf den Rechnungen portugiesische bzw. österreichische Umsatzsteuer auszuweisen ist.

Hinweis:

• Sollten aus dem Warenlager Kunden in dem jeweiligen Lagerland selbst beliefert werden, kann das OSS-Verfahren insoweit keine Anwendung finden. Vielmehr hat eine Meldung im Rahmen des Veranlagungsverfahrens des Lagerlandes zu verfolgen.
• In aller Regel haben Onlinehändler, welche Fulfillment Strukturen nutzen, mehrere Buchhaltungs- und Deklarationsstränge aufzubauen. Alternativ stellt sich die Frage, ob der Unternehmer aufgrund der Komplexität gänzlich auf die Anwendung des OSS-Verfahrens verzichtet und sich stattdessen weiterhin in allen Lagerländern registriert und dort Umsatzsteuervoranmeldungen bzw. -Erklärungen abgibt.

Beim sogenannten Dropshipping bieten Onlinehändler am Markt Waren an, welche sie selbst nicht auf Lager haben, sondern welche sie ihrerseits von einem Lieferanten beziehen. Rein zivilrechtlich veräußert der Lieferant die Ware an den Onlinehändler. Der Onlinehändler veräußert die Ware an seine Kunden. Die Ware wird dabei unmittelbar vom Lieferanten an den Endabnehmer (Kunde des Onlinehändlers) geliefert.

Umsatzsteuerlich handelt es sich um ein sogenanntes Reihengeschäft nach § 3 Abs. 6a UStG. Im Rahmen eines Reihengeschäfts existiert immer eine sog. ruhende und eine weitere (waren-)bewegte Lieferung. Es ist immer zu prüfen, welche der Lieferungen (Lieferant an Onlinehändler oder Onlinehändler an Endkunden) die ruhende bzw. bewegte Lieferung ist.

Die Beantwortung dieser Rechtsfrage hat Auswirkung auf den umsatzsteuerlichen Leistungsort sowie auf die Anwendbarkeit des OSS-Verfahrens. Denn die ruhende Lieferung einerseits und die bewegte Lieferung andererseits sind umsatzsteuerrechtlich unterschiedlich zu beurteilen.

Das OSS-Verfahren ist für den Online-Händler nur anwendbar, wenn er eine grenzüberschreitende warenbewegte! Lieferung innerhalb der EU an eine Privatperson handelt.

Hinweis:

• Branchen-Experten gehen davon aus, dass 80% der grenzüberschreitenden Fernverkäufe im Rahmen von Dropshipping-Fällen unzulässigerweise über das OSS-Verfahren gemeldet werden. In Zweifelsfällen sollte kompetente steuerrechtliche Beratung in Anspruch genommen werden.

Im Bereich der Umsatzsteuer wird es in den nächsten Jahren auf der Grundlage der sog. „VAT in the Digital Age“ Initiative auf europäischer Ebene erheblich gesetzliche Änderungen in den nationalen Umsatzsteuerregimen geben.

Am 08.12.2022 veröffentlichte die EU-Kommission in diesem Zusammenhang ihre Änderungsvorschläge der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (MwStSystRL). Die Änderungsvorschläge sehen insbesondere Neuerungen in den folgenden Bereichen vor:

• Digitale Berichtspflichten,
• Verpflichtende E-Rechnungen,
• Weitere Vereinfachungen/Erleichterungen der Deklaration im grenzüberschreitenden Handel und Dienstleistungssektor innerhalb der Europäischen Union,
• Einbeziehung von Online-Plattformen in die Dienstleistungskette

Ab dem 01.01.2025 soll die Anwendung des Reverse-Charge-Verfahren auf (fast) alle grenzüberschreitenden Dienstleistungen an andere Unternehmer ausgeweitet werden, soweit der Leistungserbringer im Zielland nicht ansässig ist. Hintergrund ist, dass dadurch umsatzsteuerliche Registrierungspflichten im Ausland so weit wie möglich vermieden werden sollen. Im Ergebnis folgerichtig sind die vorgenannten Erweiterungen dann ebenfalls ab dem 01.01.2025 in der Zusammenfassenden Meldung (zusätzlich) zu deklarieren.

Der Anwendungsbereich des oben genannten EU-OSS-Verfahrens soll umfangreich erweitert werden. So sollen zukünftig z. B. auch die ruhenden Warenlieferungen (siehe oben) durch den Onlinehändler an die Endkunden im OSS-Verfahren gemeldet werden können.

Auch für das sogenannte innergemeinschaftliche Verbringen soll es ab dem 01.01.2025 eine Sonderregelung geben, wonach eine Registrierungspflicht im Bestimmungsland grundsätzlich nicht mehr erforderlich ist. Allerdings wird es hierfür einige Ausnahmen geben (z. B. für Investitionsgüter).

Darüber hinaus sollen ab dem 01.01.2025 Online-Plattformen für die kurzfristige Vermietung (z. B. AirBnB) und/oder Personenbeförderung in die umsatzsteuerliche Lieferkettenfiktion einbezogen werden. Das hat umsatzsteuerrechtlich zur Folge, dass eine steuerfreie (Vermietungs-)Leistung durch den Ferienhausinhaber an die Plattform und auf zweiter Eben eine umsatzsteuerpflichtige Leistung der Plattform an den Mieter fingiert wird. Dies soll u. a. einen Wettbewerbsvorteil von Kleinunternehmern gegenüber herkömmlichen Hotelbetreibern zumindest insoweit beseitigen.