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Steuerhinterziehung: Folgebescheid als weiterer Taterfolg?

Bei Selbstanzeigen ist das Vollständigkeitsgebot zu beachten. Daher ist im Einzelfall zu prüfen, in welchen Punkten eine Hinterziehung vorliegt, auf welche sich die Selbstanzeige beziehen muss. Besondere Brisanz ergibt sich insoweit bei einer Hinterziehung auf der Ebene von Grundlagen- und Folgebescheiden (Beispiel: Verlustfeststellung und Einkommensteuer).

Es stellt sich die Frage, ob die Steuerfestsetzung im Folgebescheid neben dem Feststellungsbescheid (Grundlagenbescheid) als ein eigenständiger Taterfolg gewertet werden kann. Die entsprechende Tathandlung könnte dann möglicherweise entweder die Feststellungserklärung oder die Erklärung auf der Ebene des Folgebescheides (z.B. Einkommensteuerbescheid) sein.

Besondere Bedeutung hat diese Frage v.a. bei Verlustfeststellungen und gesonderten Feststellungen z.B. bei Mitunternehmerschaften (z.B. Handelsbetrieb OHG) oder Einkünfteerzielungs-Gemeinschaften (z.B. Vermietungs-GbR).

Auf diese Praxisfrage geht unser Rechtsanwalt Dirk Beyer in seinem aktuellen Fachbeitrag in der Fachzeitschrift AO-StB 2018, S. 153, ein.

Bisherige Rechtsprechung: 2 Taterfolge möglich

Es wird insbesondere in der Rechtsprechung die Ansicht vertreten, dass bei Grundlagen-und Folgebescheiden zwei Taterfolge vorliegen: Die Steuervorteilserlangung gem. § 370 Abs. 4 S. 2 1. HS AO mit Bekanntgabe des Grundlagenbescheides und die Steuerverkürzung gem. § 370 Abs. 4 S. 1 1. HS AO mit Bekanntgabe des unzutreffenden Folgebescheides (Krumm in Tipke/Kruse, AO, § 370 Rz. 103). Aus Verteidigersicht könnte insofern aber angeführt werden, dass die Bindungswirkung des Grundlagenbescheides bewirkt, dass der Folgebescheid nur noch eine rechtlich zwangsläufige Folge des Grundlagenbescheides ist. Für den Folgebescheid ist somit nicht mehr die tatsächliche Sach- und Rechtslage maßgebend solange der Grundlagenbescheid wirksam und damit bindend ist (§ 182 Abs. 1 S. 1 AO). Es besteht insofern ein Abweichungsverbot (dieses ergibt sich aus § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO). Der Grundlagenbescheid ist – trotz seiner Rechtswidrigkeit – für den Folgebescheid grundsätzlich auch dann wirksam und somit bindend, wenn der Grundlagenbescheid durch eine Hinterziehungstat erschlichen worden ist (Umkehrschluss aus § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2c AO). Nur in evidenten Fällen ist der Bescheid gem. § 125 AO nichtig. Aufgrund dieser Bindungswirkung kann die Steuerfestsetzung (Folgebescheid-Ebene) m.E. kein maßgeblicher Taterfolg sein. Der BFH hat bisher nur für den Sonderfall, dass bei einer fehlerfreien Steuererklärung ein zu Unrecht bestandskräftig festgestellter Verlustvortrag gem. § 10d EStG geltend gemacht wurde, eine Hinterziehung verneint (BFH, Urteil v. 4.12.2012, VIII R 50/10). Der BFH begründete seine Sicht damit, dass insofern in der ESt-Erklärung keine unrichtigen Angaben i.S.d. § 370 Abs. 1 AO gemacht wurden. Mit der Bindungswirkung setzte sich der BFH nicht auseinander. Diese ist nach hier vertretener Ansicht jedoch maßgebend. Der Folgebescheid wird aufgrund der zwangsläufigen Ausnutzung einer rechtlich bindenden Entscheidung und nicht aufgrund von Angaben über die Besteuerungsgrundlagen erlassen. Langel/Stumm weisen darauf hin, dass keine neuen Angaben gemacht werden (DB 2015, 2724). Dies könnte bedeuten, dass diese wiederholenden Angaben – wenn sie gemacht werden – wegen der Bindungswirkung strafrechtlich irrelevant sein könnten. Damit werden in Bezug auf den Folgebescheid keine eigenständigen Angaben gemacht. Ob die Rechtsprechung dies künftig zu sehen würde, ist jedoch sehr ungewiss. Denn:

Die bisherige Rechtsprechung sieht dies jedoch anders

Der BGH ging in einem früheren Beschluss davon aus, dass die Umsetzung in den Folgebescheiden eine Steuerverkürzung als einen weitergehenden Taterfolg bewirke, der insbesondere für den Zeitpunkt der Tatbeendigung und damit für den Verjährungsbeginn der Steuerhinterziehung von Bedeutung ist (BGH Beschl. v. 10.12.2008 – 1 StR 322/08). Der Taterfolg der Steuerhinterziehung könne mehrfach eintreten entsprechend der Rechtsnatur der Steuerhinterziehung als Gefährdungsdelikt (BGH Beschl. v. 10.12.2008 - 1 StR 322/08). Die Rechtsprechung rechnet dem Täter u.U. auch die Einkommensteuer anderer Gesellschafter als Taterfolg zu wenn diese in seinem Tatplan liegt (BGH Urt. v. 1.2.1989 - 3 StR 450/88). Diese Ansicht ist herrschend und dürfte auch prozessökonomischen Gründen geschuldet sein. Die weitere Rechtsprechung hierzu bleibt abzuwarten und Mandanten sollten diese Rechtsunsicherheit kennen. Die Verkürzung auf der Ebene des Folgebescheides ist nach der hM ein weiterer Taterfolg. Sollte in der Praxis diese hM zugrunde gelegt werden, müsste differenzierend geprüft werden, ob der Taterfolg dem ursprünglichen Verhalten auf der Grundlagenebene oder einem neuen Verhalten zuzurechnen ist. Ungeklärt sind das Konkurrenzverhältnis dieser beiden Taterfolge und die Auswirkungen auf Anklage und Strafklageverbrauch. Regelbeispiel „großes Ausmaß“: Bei einem besonders schweren Fall gilt bekanntlich der erhöhte Strafrahmen gem. § 370 Abs. 3 S. 1 AO. Der BGH hatte entschieden, dass ein großes Ausmaß der Hinterziehung stets ab einer Hinterziehung von 50.001 EUR vorliegt (BGH v.27.10.2015 – 1 StR 373/15; hierzu Heuel/Beyer, NWB 2016, 616). Der Feststellung und Bezifferung der Auswirkungen eines Steuervorteils (welcher auf der Ebene des Grundlagenbescheides ergangen ist) bedürfe es nach Ansicht des BGH auch im Hinblick auf die Anwendung des Regelbeispiels gem. § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO nicht (BGH Beschl. V. 22.11.2012, 1 StR 537/12). Das Gesetz gehe ausweislich seines Wortlauts davon aus, dass das Regelbeispiel sowohl bei der Steuerhinterziehung durch Steuerverkürzung als auch bei der Erlangung von nicht gerechtfertigten Steuervorteilen verwirklicht sein kann. Allerdings hat der BGH nicht entscheiden müssen, ab welcher Wertgrenze ein „großes Ausmaß“ bei erlangten Steuervorteilen anzunehmen ist. Er stellte nur fest, dass die Anwendung des Regelbeispiels anhand von Wertgrenzen, wie sie der BGH in anderen Fällen angenommen hat, grundsätzlich in Betracht komme. Nicht überzeugend ist m.E. eine nominelle Betrachtung (ob die Besteuerungsgrundlagen auf der Ebene des Feststellungsbescheides die Wertgrenze überschreiten), weil der fiskalische Steuerschaden aufgrund des Folgebescheides deutlich unter der Grenze von 50.001 EUR liegen kann.

Da die Rechtsprechung bisher auch auf der Ebene des Folgebescheides im Einzelfall einen Taterfolg sieht, muss stets in Betracht gezogen werden, dass der Strafrichter dies im Einzelfall auch so sieht.  Dies bedeutet allerdings nicht, dass sich der Strafrichter aufgrund besonderer Einzelfallumstände nicht durch Argumente überzeugen ließe. Eine weitere Frage ist, in welchem sog. Konkurrenzverhältnis beide Taterfolge stehen.

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