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Unangemessene Verfahrensdauer eines Strafverfahrens

Wie ein aktuell offenes Strafverfahren bei einem Landgericht gegen mehrere Angeklagte zeigt, können sich insbesondere in diesen Fällen lange Verzögerungen ergeben. Was für den einen gut ist, wirkt für den anderen nachteilig: Für manche Angeklagten, der argumentativ eher schlechtere Karten hat, ist die Verzögerung ggf. willkommen. Für den Angeklagten hingegen, welcher aufgrund guter Gründe freigesprochen werden müsste, ist eine Verfahrensverzögerung misslich. Hiervon berichten die Steueranwälte von LHP.

Hinweis der Steueranwälte von LHP: Faktisch besteht eine „Schicksalsgemeinschaft“ mit den anderen Angeklagten. Wenn Verteidiger für die anderen Angeklagten zeitintensive Anträge stellen – was ihr gutes Recht ist – so müssen die anderen Angeklagten diesen Zeitaufwand „aussitzen“ und mit ihrer Verteidigung warten. Die richtige Verteidigungsstrategie sollte daher wohl überlegt und ggf. angepasst werden. Insbesondere kann zu gegebener Zeit Flagge gezeigt werden, indem die Argumente als Verteidigererklärung vorgetragen werden. In Ausnahmefällen kommt auch eine Beurlaubung (also Freistellung) des Angeklagten in Betracht, wenn dieser – im Gegensatz zu anderen Angeklagten - von bestimmten Sachverhalten nicht betroffen ist. Dies erfordert jedoch eine klare Trennbarkeit und muss vom Verteidiger dargelegt werden.

Der BGH äußerte sich zum Thema Verfahrensdauer

Die Entscheidung des BGH lässt sich wie folgt zusammenfassen (BGH v. 14.11.2013 – III ZR 376/12):

1. Ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen i.S.d. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, richtet sich nach den Einzelfallumständen.

2. Bei der Einzelfallbetrachtung ist neben der Garantie eines effektiven Rechtsschutzes gem. Art. 19 Abs. 4 GG auch der verfassungsrechtliche Grundsatz richterlicher Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen.

In diesem BGH-Verfahren ging es darum, dass ein Kläger einen Anspruch auf Entschädigung für immaterielle Nachteile wegen überlanger Dauer eines gegen ihn gerichteten Strafverfahrens geltend machte. Der Kläger war im Jahr 2007 in einem Strafverfahren gegen Dritte zunächst als Zeuge vernommen worden. In 2009 wurde gegen ihn deshalb das Strafverfahren wegen Falschaussage eingeleitet. Anfang 2010 erhobt die Staatsanwaltschaft (StA) Anklage gegen ihn zum AG. Sein Verteidiger nahm hierzu im Zwischenverfahren Stellung und beantragte eine Frist zur weiteren Stellungnahme, die jedoch seitens des Verteidigers nicht genutzt wurde. 16 Monate nach Anklageerhebung lehnte das AG die Eröffnung des Hauptverfahrens im Jahr 2011 ab. Der Kläger erreichte daraufhin eine Verurteilung des Bundeslandes durch das OLG zur Zahlung einer immateriellen Entschädigung i.H.v. 3.000 € wegen überlanger Verfahrensdauer. Das beklagte Bundesland verfolgte mit seiner Revision bei BGH die Abweisung der Entschädigungsklage.

So entschied der BGH:

Der BGH hat das Urteil des OLG aufgehoben und die Sache an dieses Gericht zurückverwiesen. Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit ist als maßgeblicher Zeitraum die Gesamtverfahrensdauer i.S.d. § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG. Unangemessen gem. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist die Verfahrensdauer dann, wenn eine an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamer Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist.

BGH verlangt Einzelfallbetrachtung

Bei dieser Beurteilung ist insb. auch das Verhalten der Verfahrensbeteiligten, die Schwierigkeit der Sache und die konkrete Verfahrensführung durch das Gericht zu berücksichtigen. Bei der Verfahrensführung ist entscheidend, ob Verzögerungen, die mit dieser im Zusammenhang stehen, bei Berücksichtigung des dem Gericht zukommenden Gestaltungsspielraums sachlich gerechtfertigt sind. Die Überprüfung der Verfahrensführung im Ausgangsprozess obliegt grundsätzlich dem Tatrichter, der über die Entschädigungsklage zu entscheiden hat (hier: OLG). Der BGH hat hierbei als Rechtsmittelgericht den tatrichterlichen Beurteilungsspielraum zu respektieren und nur zu prüfen, ob der rechtliche Rahmen verkannt worden ist. Im vorliegen Fall sei die Annahme des OLG, das AG habe das Verfahren um sechs Monate verzögert, nach diesem Maßstab rechtsfehlerhaft. Denn das OLG habe sich nicht erkennbar damit auseinandergesetzt, ob und in welcher Weise das Verfahren besondere Schwierigkeiten aufwies. Diese Auseinandersetzung habe aufgrund des Aktenumfangs (fünf Aktenbände und vier Sonderhefte) nicht ferngelegen. Außerdem habe das OLG nicht den Umstand in seine Erwägungen einbezogen, dass das AG auf eine Entscheidung in einem Parallelverfahren gewartet habe. Der BGH führte weiter aus: Entgegen der Ansicht des Klägers habe das Ermittlungsverfahren gegen ihn nicht bereits im Jahr 2007 mit seiner Vernehmung als Zeuge, sondern erst im Jahr 2009 mit der Einleitung des Strafverfahrens begonnen. Der Begriff des Gerichtsverfahrens meint als Begriff alle Verfahrensstadien von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss.

Hinweis der Steueranwälte von LHP: Ein Verfahren ist eingeleitet, sobald die StA, die Steuerfahndung als ihre Ermittlungsperson bzw. die Finanzbehörde eine Maßnahme trifft, die erkennbar darauf abzielt, gegen jemanden strafrechtlich vorzugehen. Diese Beschuldigteneigenschaft kann durch einen Willensakt der zuständigen Strafverfolgungsbehörde begründet werden, und zwar entweder förmlich durch die Einleitung eines Strafverfahrens oder durch faktische Maßnahmen, die erkennbar zum Ziel haben, ihn als Täter einer Straftat zu überführen. Im Rahmen der Zeugenvernehmung wurde dem Kläger im vorliegenden Verfahren zwar vorgehalten, dass er unwahre Angaben mache. Jedoch sieht der BGH in diesen Vorhalten nur die üblichen Vernehmungsbehelfe, die nicht zu einer faktischen Beschuldigteneigenschaft führten. Auch durch den Umstand, dass der StA nach der Zeugenvernehmung in seiner Akte notierte, es bestehe der „dringende Verdacht“ unwahrer Angaben des Zeugen, sei der Kläger aber noch nicht faktisch zum Beschuldigten geworden. Denn der StA habe anschließend keine weiteren Maßnahmen ergriffen, die darauf abgezielt hätten, den Kläger einer Straftat zu überführen.

Verteidiger sollte für die überlange Verfahrensdauer prüfen, wann das Ermittlungsverfahren begonnen hat:

Für die Beurteilung der Verfahrensdauer ist zunächst festzustellen, zu welchem Zeitpunkt das Strafverfahren begonnen hat. Hierzu sollte – ggf. durch Akteneinsicht – festgestellt werden, wann die betreffende Person erstmals als Beschuldigte behandelt wurde. Neben der förmlichen Beschuldigung, welche durch die Bekanntgabe des Steuerstrafverfahrens leicht erkennbar ist, kann eine Person auch faktisch zum Beschuldigten werden. Hierzu zählen Maßnahmen, die erkennbar darauf abzielen, die Person nicht mehr als Dritten (Zeugen) zu behandeln, sondern gegen ihn strafrechtlich zu ermitteln. Eine bloße Abfrage des Einwohnermelderegisters, die bloße Anforderung eines Bundeszentralregisterauszuges oder der Antrag, den Kläger ermittlungsrichterlich als Zeugen zu vernehmen, sind für sich allein noch keine solche faktische Maßnahmen.

Hinweis von LHP: Aus Verteidigersicht ist die Ansicht nicht überzeugend, dass der Aktenvermerk des Staatsanwalts (StA) nach der Zeugenvernehmung im vorliegenden Fall nicht zur faktischen Beschuldigtenstellung führen sollte, weil der StA anschließend strafrechtliche Ermittlungen unterließ. Denn die Beschuldigtenstellung hat aufgrund des strafprozessualen Schweigerechts und etwaiger Verwertungsverbote auch eine Schutzfunktion. Diese darf nicht davon abhängen, ob der StA seine in seinem Vermerk niedergelegte deutliche Ansicht („dringender Verdacht“) konsequent weiterverfolgt oder nicht. Insb. erscheint es vor dem Hintergrund der Regelungen des Rechtsschutzes bei überlangen Verfahren inkonsequent, eine Untätigkeit aus der Berechnungsdauer herauszunehmen. Wenn auf den Zeitpunkt dieses Vermerks in 2007 abgestellt worden wäre, wären für das Verfahren weitere zwei Jahre zu berücksichtigen gewesen.

Verfahrensrüge wegen überlanger Verzögerung:

Bereits im behördlichen strafprozessualen Ermittlungsverfahren sollte bei einer Verzögerung durch die Behörde die Verfahrensrüge gem. den §§ 198 Abs. 3, 199 GVG wegen überlanger Verzögerung erhoben werden. Diese ist auch bei einer Verzögerung durch ein Gericht zu erheben und eine materiell-rechtliche Voraussetzung für die Geltendmachung der Entschädigung (§ 198 Abs. 3 GVG).

Neben den immateriellen Folgen, die beim Strafverfahren in der psychischen Belastung bestehen (vgl. Graf, StPO, 2. Aufl. 2012, § 198 GVG Rz. 12), können gem. § 198 GVG u.U. auch Vermögensnachteile zu ersetzen sein. Zu den Vermögensnachteilen können insb. gehören: Kreditkosten zur Finanzierung vermeintlicher Steuerforderungen, Kosten für die Verteidigung soweit diese durch die Verzögerung entstanden sind oder Insolvenzschäden aufgrund der Verzögerung. Diese Fragen sind aber im Einzelfall zu beurteilen. Bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten ist der weite Gestaltungsspielraum der Gerichte zur Verfahrensführung zu berücksichtigen. Die Regelungen zum Rechtsschutz bei überlanger Verfahrensdauer schließen einen u.U. bestehenden Amtshaftungsanspruch gem. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG nicht aus (BFH v. 17.4.2013 – X K 3/12). Der Amtshaftungsanspruch setzt jedoch Verschulden voraus und ist entsprechend mit hohen Hürden verbunden.

Die Steueranwälte von LHP behalten die Verfahrensdauer im Blick und weisen Mandanten auf die entsprechenden Reaktionsmöglichkeiten hin. Ob der Mandant diese nutzen möchte, entscheidet er jeweils selbst.

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