In der Praxis der Betriebsprüfung wird über die Voraussetzungen einer Schätzung oft mit dem Betriebsprüfer und seinem Sachgebietsleiter diskutiert. Oftmals lassen sich Fehler in Schätzungen aufzeigen. So werden in manchen Betriebsprüfungen zwingende Voraussetzungen einer Schätzung übergangen oder unzutreffend angewandt.
Diese Fehler sind misslich, weil unberechtigte Schätzungen – liegen sie erst einmal schwarz auf weiß vor - auch in anderen Verfahren für Unruhe sorgen können (z.B. Einschaltung der Sozialversicherung, Lohnsteueraußenprüfung, Steuerstrafverfahren). LHP gibt hier erste Hinweise für die Überprüfung von steuerlichen und steuerstrafrechtlichen Schätzungen im betrieblichen Bereich. Es lohnt sich aber, die Besonderheiten des Einzelfalles zu besprechen, da sich dann oft noch zusätzliche entlastende Argumente ergeben.
Seit einer gewissen Zeit beleuchtet ein Teil der Rechtsprechung die Schätzungen durch Finanzämter kritischer. Komplexer wird die Lage, wenn gleichzeitig ein Steuerstrafverfahren eingeleitet wird oder der Unternehmer mit einer solchen Einleitung rechnen muss. Dann müssen auch die strafprozessualen Regeln einer Schätzung beachtet werden. Es kann zudem eine Zwickmühle entstehen: Einerseits müssen unberechtigte steuerliche Schätzungen argumentativ abgewehrt werden. Andererseits können sich Sacheinlassungen im Besteuerungsverfahren ggf. nachteilig im Strafverfahren auswirken. Die Koordinierung zwischen Besteuerungs- und Strafverfahren durch den Steuerstrafverteidiger ist ein wichtiges Thema der Praxis. Aus Platzgründen kann hierauf an dieser Stelle nicht eingegangen werden.
Die Rechtsgrundlage in § 162 Abs. 2 AO sieht beispielhafte Fälle vor, in denen das Finanzamt schätzen darf. Dies ist dann der Fall, wenn und soweit der Unternehmer (Steuerpflichtiger) keine Auskünfte geben kann oder diese Auskünfte verweigert oder ansonsten seine Mitwirkungspflichten verletzt. Steuerlich darf das Finanzamt dann unter den weiter unten genannten Voraussetzungen das Schätzungsergebnis zugrunde legen, für welches die größte Wahrscheinlichkeit spricht.
Hinweis von LHP aus Köln: Geben Sie als Unternehmer keinen Anlass für den Vorwurf, ihre steuerlichen Mitwirkungspflichten zu verletzen, erschweren Sie hierdurch dem Prüfer die Durchführung einer Schätzung. Besteht gleichzeitig ein Steuerstrafverfahren, so sollten die Auswirkungen einer etwaigen Mitwirkung auf das Strafverfahren besprochen werden.
Eine Schätzung muss dem Grunde („Ob“ der Schätzung) und der Höhe nach ("Wie" der Schätzung) gerechtfertigt sein. Bei buchführenden Unternehmern gilt zugunsten des Unternehmers die Schutzwirkung des § 158 AO, so dass die Buchführung und die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen der Besteuerung grundsätzlich zugrunde zu legen sind (Vermutung der Richtigkeit). Nur ausnahmsweise darf eine Finanzbehörde von dieser günstigen Regelung abweichen, wobei die folgenden Voraussetzungen für eine Schätzung kumulativ vorliegen müssen (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 1.4.2014):
Hinweis von LHP aus Köln: Längst nicht jede aus Sicht des Prüfers bestehende Ungenauigkeit berechtigt zur Schätzung. Denn gewisse Unschärfen sind unvermeidbar. Erst Abweichungen von einigem Gewicht ermöglichen eine Schätzung trotz formell ordnungsgemäßer Buchführung (BFH, Urteil v. 26.4.1983).
Nach der aktuellen Rechtsprechung des BGH ist auch im Steuerstrafverfahren eine Schätzung von Besteuerungsgrundlagen zulässig (vgl. Beyer, NZWiSt 2016, 354). Im Strafverfahren gelten jedoch besondere Anforderungen an das Ob und Wie (also die Höhe) der Schätzung. Diese Besonderheiten – neben den steuerlichen Schätzungsanforderungen - fasst der BGH wie folgt zusammen:
Fazit von LHP aus Köln:
In der Praxis zeigt sich, dass Schätzungen oftmals angreifbar sind. Hier sind die Besonderheiten im steuerlichen und strafrechtlichen Verfahren zu beachten. Dies bedeutet, dass in beiden Verfahren nicht zwingend die gleiche Schätzung erfolgen muss. Im Strafverfahren wird eine Schätzung oftmals geringer als im steuerlichen Verfahren ausfallen. Gegen unberechtigte Schätzbescheide kann Einspruch eingelegt und Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (Vollstreckungstopp) beantragt werden.
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