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BGH zur Schätzung in Steuerstrafverfahren (Richtsatzsammlung)

Die Praxisbedeutung des aktuellen BGH-Urteils vom 10.7.2019 (1 StR 265/18)

Das Urteil gab dem BGH die Gelegenheit, zu wichtigen Aspekten einer Steuerhinterziehung und einer Schätzung im Steuerstrafverfahren Stellung zu nehmen.

1. Der Sachverhalt des BGH-Urteils

Der geständige Angeklagte B führte zusammen mit seiner freigesprochenen Mutter A eine Reederei OHG, die ein Fahrgastschiff betrieb. Die Hafenrund- und Kurzfahrten führten zu Erlösen aus Fahrkarten, Gastronomie und einem Kiosk. Von den Erlösen aus Fahrkartenverkauf und Gastronomie entnahm B täglich teilweise nach Betriebsschluss einen Teil aus der Kasse. Nur den Restbetrag ließ er im Kassenbuch eintragen und anschließend von seinem Steuerberater, dem Angeklagten H, verbuchen, der von den Entnahmen nichts wusste. Die Erlöse aus dem Kiosk waren vollständig in den Jahresabschlüssen der OHG. Jedoch ging B davon aus, dass die Erlöse aus dem Kiosk umsatzsteuerfrei waren, da H ihm diese Rechtsauskunft gegeben hatte. Das Landgericht (LG) war als Vorinstanz von einem Gesamtverkürzungsbetrag in Höhe mehr als 1 Mio. ausgegangen und hatte B wegen Hinterziehung der Einkommens-, Gewerbe- und Umsatzsteuer (einschließlich der Umsätze aus dem Kiosk) zu einer Bewährungsstrafe von 2 Jahren verurteilt. Steuerberater H wurde durch das LG wegen Beihilfe zur Hinterziehung der Umsatzsteuer des B (Kioskumsätze) zu einer Bewährungsstrafe von 9 Monaten verurteilt.

2. Die Entscheidung des BGH

Der BGH hat aufgrund der Revision der Angeklagten B und seines Steuerberaters H das Urteil der Vorinstanz (Landgericht) aufgehoben.

a. Vorsatz war teilweise fraglich

Der BGH beanstandete, dass das Landgericht (LG) einen möglicherweise bestehenden Irrtum des Angeklagten B nicht berücksichtigt hat, der dessen Vorsatz ausschließt. Das LG konnte angesichts der Beratung durch den Steuerberater H nicht davon ausgehen, dass B sich bewusst war, Umsatzsteuer aus den Kioskumsätzen zu hinterziehen. Denn er hatte von seinem Steuerberater H die Auskunft erhalten, dass diese Umsätze umsatzsteuerfrei gewesen seien. Befindet sich der Angeklagte in einem solchen Irrtum, schließt dieser Irrtum den Vorsatz aus (sog. Tatbestandsirrtum gem. § 16 StGB). Nach Ansicht des BGH gehört zum Vorsatz, dass der Täter den verkürzten Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kennt oder zumindest für möglich hält. Dies hatte der BGH zuletzt auch in seinem Urteil v. 24.1.2018 klargestellt (1 StR 331/17).

b. Schätzung im Steuerstrafverfahren

Auch im Steuerstrafverfahren ist eine Schätzung von Besteuerungsgrundlagen zulässig.

Hinweis der Steueranwälte von LHP: Hierbei ist der Strafrichter nicht an Schätzungen des Finanzamtes gebunden. Der Strafrichter ist somit auch nicht an eine günstige tatsächliche Verständigung im Besteuerungsverfahren gebunden. Es ist daher bei Einigungsgesprächen empfehlenswert, eine doppelte Verständigung sowohl für das steuerliche als auch das strafrechtliche Verfahren zu suchen.

Der BGH hat anerkannt, dass grundsätzlich die auch im Besteuerungsverfahren anerkannten Schätzmethoden anwendbar sind (BGH, Urteil v. 29.1.2014, 1 StR 561/13). Es gelten jedoch besondere Anforderungen an das "Ob" und "Wie" (also die Höhe) der Schätzung:

Eine Schätzung ist nur zulässig, wenn bewiesen wurde, dass der Steuerpflichtige einen Besteuerungstatbestand (das „Ob“ der Einkunftsart) erfüllt hat. Das „Ob“ von Einkünften darf strafrechtlich somit nicht geschätzt werden.

Zudem setzt eine strafrechtliche Schätzung voraus, dass die Höhe der Einkünfte nicht konkret berechnet werden kann, weil die Buchführung nicht zugrunde gelegt werden kann. Im vorliegenden Fall war die Buchführung nicht nur formell, sondern auch materiell fehlerhaft wegen nicht erfasster Betriebseinnahmen und konnte daher nicht berücksichtigt werden.

Der Strafrichter darf eine Schätzung des Finanzamts nicht schlicht übernehmen, sondern muss in den Urteilsgründen nachvollziehbar darlegen, wie er selbst zu den Schätzungsergebnissen gelangt ist.

Während es sich bei einer Schätzung im steuerlichen Verfahren um eine Wahrscheinlichkeitsüberlegung handelt, muss der Strafrichter von der steuerlichen Schätzung des Finanzamts überzeugt sein, wenn er sie für eine strafrechtliche Verurteilung übernehmen will. Eine bloße Wahrscheinlichkeit genügt hier also nicht.

Hinweis LHP Rechtsanwälte Steuerberater: Nach hier vertretener Ansicht gilt auch keine Beweismaßerleichterung im Strafverfahren, wenn der Steuerpflichtige seine steuerlichen Mitwirkungspflichten (wie z. B die Aufzeichnungen als Taxiunternehmer) nicht erfüllt hat. Insofern ist die BGH-Rechtsprechung jedoch nicht eindeutig.

c. Richtsatzsammlung

Der BGH geht davon aus, dass eine strafrechtliche Schätzung im Einzelfall auch auf die amtliche Richtsatzsammlung gestützt werden darf (so bereit BGH, Urteil v. 20.12.2016 - 1 StR 505/16). Der Rückgriff auf diese pauschalen Werte sei jedoch nur zulässig, wenn sonst keine Tatsachenbasis für eine Schätzung vorhanden ist. Weiterhin weist der BGH darauf hin, dass es sich um „ein eher grobes Schätzungsverfahren handelt und die Sätze auf bundesweite Prüfungsergebnisse zurückgehen, so dass die Umstände des Einzelfalles, namentlich die örtlichen Verhältnisse und die Besonderheiten des Gewerbebetriebs, in den Blick genommen werden müssen.“ Der Strafrichter muss sich nach Ansicht des BGH nicht generell zugunsten des Angeklagten an den unteren Werten der in der Richtsatzsammlung genannten Spannen orientieren, wenn sich Anhaltspunkte für eine positivere Ertragslage ergeben, wie z.B. unplausible Vermögenszuwächse. Das Gericht muss einen als erwiesen angesehenen Mindestschuldumfang feststellen. Im vorliegenden Fall sei dies durch das LG rechtsfehlerfrei geschehen, weil es sich davon überzeugt habe, dass der durchschnittliche obere Rohgewinnaufschlagssatz für Gaststätten in diesem Fall anwendbar sei.

d. Keine Beihilfe des Steuerberaters

Der BGH führte zur Strafbarkeit des Steuerberaters H aus, dass dieser durch den unzutreffenden Rechtsrat zur Umsatzsteuerbefreiung der Kioskerlöse schon deshalb keine strafbare Beihilfe geleistet haben könne, weil B insoweit keine vorsätzliche Steuerhinterziehung als Haupttat begangen habe. Ohne Haupttat scheidet eine Beihilfe aus (§ 27 Abs. 1 StGB). Allerdings hält es der BGH für nicht ausgeschlossen, dass der Steuerberater insoweit als mittelbarer Täter – mit dem unwissenden B als sog. „Werkzeug“ – gehandelt haben könnte (§ 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB). Hierzu muss die Vorinstanz noch aufklären, ob H überlegenes Wissen zur Umsatzsteuerpflicht der Kioskerlöse hatte. Es genügt, wenn H insoweit mit Eventualvorsatz handelte.

3. Stellungnahme von LHP zu dem BGH-Urteil

Der BGH hat erfreulicherweise  seine Rechtsprechung zur Vorsatzfeststellung klargestellt. Hierzu ist er leider gezwungen gewesen, weil die Vorinstanz diese nicht berücksichtigte.

Angesichts der häufigen Praxis, dass insbesondere in Strafbefehlen oder auch Hauptverhandlungen pauschale Schätzungen an der Tagesordnung sind, sollte der BGH nicht nachlassen, stets auf seine Grundsätze für strafrechtliche Schätzungen hinzuweisen. In Steuerstrafverfahren muss der Strafrichter seine Schätzung besonders begründen und einen Mindestschuldumfang feststellen. Es handelt sich um keine bloße Wahrscheinlichkeitsüberlegung wie bei einer steuerlichen Schätzung.

Es bleibt abzuwarten, ob die Richtsatzsammlung höchstrichterlich künftig weitergehend hinterfragt wird. Der BFH hat in diesem Zusammenhang mit seinem Beschluss vom 8.8.2019 eine Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision als unbegründet zurückgewiesen (BFH, Beschluss v. 8.8.2019 – X B 117/18). Der BFH stellte klar, dass die Richtsatzsammlung eine anerkannte Schätzmethode sei und hielt es nicht für geboten, sich näher mit der Richtsatzsammlung auseinanderzusetzen, da der Kläger und Beschwerdeführer seine Bedenken gegen die Richtsatzsammlung nicht substantiiert geltend gemacht hatte. Gleichzeitig hat der BFH jedoch – anders als der BGH in seinem Urteil vom 10.7.2019 – ausdrücklich auf die Literaturkritik hingewiesen.

Hinweis LHP Rechtsanwälte Steuerberater: In einer Nichtzulassungsbeschwerde sollte der Beschwerdeführer die Beschwerdegründe substantiiert darlegen und sich mit den betreffenden Rechtsansichten auseinandersetzen. Es genügt somit nicht die pauschale Argumentation, dass die Richtsatzsammlung eine ungeeignete oder unzureichende Schätzgrundlage sei.

Die Anwendbarkeit der Richtsatzsammlung ist kritisch zu sehen, solange durch die Finanzverwaltung nicht im jeweiligen Einzelfall offengelegt wird, ob die statistischen Daten der Richtsatzsammlung für den konkreten Betrieb und die jeweilige Region repräsentativ sind. Es ist im Moment z.B. nicht transparent, aus welchen Regionen die Daten stammen, welche Daten welcher Jahre in welchen Richtsatzsammlung aufgefrischt werden, ob alle erfolgreichen Einspruchs- und Klageverfahren Einfluss auf die betreffenden Datenjahre haben (ggf. rückwirkend) und wie aktiv die unterschiedlichen Finanzämter in der Datenbereitstellung sind. Die Richtsatzsammlung wird durch das BMF zudem nicht für strafrechtliche Ermittlungen geführt, so dass es bereits im Ansatz fraglich ist, warum diese ohne mehr Transparenz strafrechtlichen Anforderungen genügen soll. Weiterhin ist auch zu sehen, dass es sich bei der Richtsatzsammlung um einen externen und keinen internen Betriebsvergleich handelt. Schon deshalb hat die Richtsatzsammlung einen geringeren Beweiswert als interne Verbrobungs- und Schätzmethoden wie z.B. eine Nachkalkulation).

Die Steuerstrafverteidiger von LHP empfehlen, Staatsanwälte und Strafrichter für die Kritik an der Richtsatzsammlung zu sensibilisieren. Gerade im Strafverfahren dürfen intransparente Begründungen zu keiner Sanktion führen.

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