In den sogenannten Bargeldbranchen wird die Kassenführung in Betriebsprüfungen oft beanstandet und es stehen dann nahezu regelmäßig empfindliche Schätzungen im Raum.
Im Einzelfall kann auch die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens und die Abschöpfung des steuerlichen Vorteils im Wege einer strafrechtlichen Einziehung drohen. Der BGH hat sich in dem hier zu besprechenden Urteil vom 8.3.2022 nun erstmals dazu geäußert, ob eine solche Einziehung die Tatvollendung verlangt und dies bejaht (BGH, Urteil vom 8.3.2022 – 1 StR 360/21).
Das OLG Celle hatte gegenteilig entschieden, dass eine Einziehung auch im Fall einer nur versuchten Steuerhinterziehung möglich sei (Urteil vom 14.6.2019 – 2 Ss 52/19). Das OLG Celle stützt sich hierbei darauf, dass der Steueranspruch mit Ablauf des Besteuerungszeitraumes kraft Gesetzes entsteht und ein Steuerbescheid daher nur eine deklaratorische Bedeutung habe.
Hinweis: Eine Steuerhinterziehung ist als Tat vollendet, wenn der Taterfolg (also z.B. die unzutreffende Steuerfestsetzung) eingetreten ist. Von der Vollendung ist die Beendigung zu unterscheiden. Die strafrechtliche Verjährung beginnt erst mit der Beendigung der Tat.
Der BGH hat das Urteil aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen. Zunächst betonte der BGH, dass die Schätzung dem Grunde nach auch für strafrechtliche Zwecke zulässig war, weil die Kassenführung und Buchhaltung inhaltliche Mängel beinhaltete. Allerdings beanstandete der BGH, dass die Vorinstanz die Schätzung der Höhe nach nicht nachvollziehbar dargelegt habe. Der BGH bestätigte hingegen die Rechtsansicht der Vorinstanz, dass die Einziehung eine Vollendung der Hinterziehung voraussetzt. Erst dann hat der Beschuldigte „etwas erlangt“ i.S.d. § 73 StGB.
Nunmehr besteht Klarheit darüber, dass eine Einziehung im Steuerstrafverfahren die Tatvollendung der Hinterziehung voraussetzt. In der Praxis ist jedoch jeweils im Einzelfall zu prüfen, wann eine Tatvollendung vorliegt. Diese Frage ist differenziert zu sehen:
Bei einer Steuerhinterziehung durch aktives Tun gem. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO tritt der Taterfolg und damit die Tatvollendung bei Veranlagungssteuern mit der Bekanntgabe des Steuerbescheides ein.
Beispiel: E gibt eine unzutreffende Einkommensteuererklärung für 2021 ab. Das Finanzamt folgt der Erklärung und gibt den Bescheid am 1.8.2022 bekannt. Dann ist die Hinterziehung der Einkommensteuer 2021 am 1.8.2022 vollendet. Bis zu diesem Zeitpunkt handelt es sich (nur) um eine strafbare versuchte Steuerhinterziehung.
Hingegen ist die Tat im Fall der Unterlassung (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) in dem Zeitpunkt vollendet, in dem ein Schätzbescheid mit zu niedrigen Festsetzungen bekanntgegeben wird (BGH, Beschluss vom 22.8.2012 – 1 StR 317/12).
Beispiel: G gibt keine Einkommensteuererklärung für 2020 ab. Das Finanzamt gibt einen zu niedrigen Schätzbescheid am 3.8.2022 bekannt. Tatvollendung ist dann am 3.8.2022 eingetreten.
Eine Besonderheit ergibt sich bei der Bekanntgabe der Einleitung eines Steuerstrafverfahrens, wie der vorliegende Fall zeigt. Dann führt diese Bekanntgabe dazu, dass die Erklärungspflicht strafrechtlich suspendiert wird, wenn diese Bekanntgabe zeitlich vor der Bekanntgabe des Steuerbescheides erfolgt. Wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, tritt trotz Ergehens eines Bescheides keine Tatvollendung ein. Die Tat bleibt dann im Versuchsstadium stecken. So war es im vorliegenden Sachverhalt.
Wenn hingegen kein Schätzbescheid ergeht, so tritt der Taterfolg in dem Zeitpunkt ein, in welchem der Täter bei pflichtgemäßer Erklärungsabgabe spätestens veranlagt worden wäre. Das ist der Fall, wenn die Veranlagungsarbeiten im Finanzamt für die betroffene Steuerart und des betroffenen Veranlagungszeitraumes im Großen und Ganzen abgeschlossen sind (vgl. BGH, Beschluss v. 2.11.2010 – 1 StR 544/09).
Beispiel: Es wird hier einmal unterstellt, dass im örtlich zuständigen Finanzamt F die Veranlagungsarbeiten für den Zeitraum 2019 am 31.3.2022 zu 95% abgeschlossen worden sind. Dann würde bei einer Nichtabgabe der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2019 am 31.3.2022 Tatvollendung eintreten.
Bei nicht fristgerechter Abgabe der Steueranmeldung (USt-Jahreserklärung oder USt-Voranmeldung) tritt die Tatvollendung bereits mit dem Ablauf des Fälligkeitszeitpunktes ein (Tipke/Kruse, AO, § 370 Rz. 97). Bei einer Abgabe unrichtiger oder unvollständiger Steueranmeldungen tritt der Taterfolg bereits mit Eingang der Anmeldung ein, da diese einer Steuerfestsetzung gleichsteht (§ 168 S. 1 AO). Wird jedoch mit der Anmeldung eine Erstattung oder Steuerherabsetzung begehrt, so kommt es zur Vollendung erst mit der Zustimmung des Finanzamtes (§ 168 S. 2 AO).
Wir klären mit unseren Mandanten im Einzelfall, welche Rechtsmittel gegen unberechtigte Schätzungen, Einziehungen und Arreste bestehen und sinnvoll sind (unter anderem, je nach Fall, Aussetzung der Vollziehung und einstweilige Anordnung sowie ggf. in der Folge von Einspruchsverfahren und Klage bis hin zu Revision).
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