Die Schätzungsfälle in den sog. Bargeldbranchen (z.B. Gastronomie, Friseurbetriebe, Taxiunternehmen) nehmen zu. Unternehmer sind teilweise von exorbitant überhöhten Schätzungen betroffen. Im Einzelfall sind dann die Gegenargumente zu bündeln und es sollte eine Verteidigungsstrategie gefunden werden.
Dies kann z.B. durch eine Zusammenarbeit mit dem laufenden Steuerberater geschehen. Mittlerweile gibt es eine umfangreiche Rechtsprechung zu Schätzungsfällen. Hierzu hat sich Rechtsanwalt Dirk Beyer aktuell in der Fachzeitschrift NWB mit Praxishinweisen geäußert (NWB 2018 Nr. 6, S. 356).
Der aktuelle BFH-Beschluss vom 23.2.2018 ist ein Lichtblick für die Bargeldbranchen in Schätzungsfällen (Az: X B 65/17). Im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde zeigte der BFH dem Finanzgericht (FG) ein Stoppschild und verwies den Rechtsstreit unmittelbar an das FG zur anderweitigen Verhandlung zurück. Denn das Finanzgericht hatte den Beweisantrag des Unternehmers übergangen.
Der BFH stellte hierzu klipp und klar fest: Das Finanzgericht (FG) hatte im konkreten Fall seine Sachaufklärungspflicht verletzt, indem es keinen Beweis darüber erhoben hat, ob die steuerlich erheblichen Daten zur Programmdokumentation in dem Kassensystem gespeichert waren. Diesbezüglich hatte der Prozessvertreter des Klägers (ein Gastronom) jedoch einen ordnungsgemäßen Beweisantrag gestellt. Diesen Beweisantrag überging das FG. Hierzu führte es unzutreffend aus, dass es sich um einen unzulässigen bloßen Antrag zur Ausforschung „ins Blaue hinein“ handele. Der Anschein drängt sich hier für den Leser auf, dass das FG einen aus seiner Sicht "lästigen" Fall nicht vertieft prüfen wollte. Diesen Anschein hätte das FG durch eine gründliche Prüfung des Falles vermeiden können.
Der BFH hatte in seinem sog. Zeitreihen-Urteil aus 2015 entschieden, dass der formelle Mangel einer fehlenden Programmdokumentation weniger ins Gewicht falle, wenn der Unternehmer durch einen Gegenbeweis darlege, dass seine Kasse keine Manipulationsmöglichkeiten eröffne (BFH v. 25.3.2015, Az: X R 20/13). Doch dieses Urteil aus 2015 betraf eine klassische Registrierkasse. Im hier besprochenen Fall handelte es sich um eine PC-Kasse. Diese kann technisch umfangreicher programmiert werden. Daher wird sich hier im weiteren vorliegenden Rechtstreit die Frage stellen, ob der Gegenbeweis auch bei PC-Kassen trotz der erweiterten technischen Möglichkeiten möglich ist.
Das FG hatte selbst 7,5% hinzugeschätzt und damit den Fall als erledigt angesehen. Das Finanzamt hatte zuvor ungefähr das doppelte geschätzt. Aber auch 7,5% kann deutlich zu hoch sein wenn der Unternehmer nicht in diesem Umfang manipuliert hat. Die Auswirkungen auf USt, ESt und GewSt sind auch dann erheblich und die Nachzahlungszinsen von 6% (teilweise mehr als 10 Jahre rückwirkend) können erdrückend sein. Die Schätzung des FG wird nun durch den BFH-Beschluss wieder aufgeschnürt und das FG wird neu entscheiden müssen. Zudem stellte der BFH klar, dass eine pauschale (griffweise) Schätzung immer nachrangig ist gegenüber einer Nachprüfung aufgrund betriebsbezogener Umstände.
Rechtsanwalt Dirk Beyer hat aktuell auf die neuere BFH-Rechtsprechung hingewiesen, nach der auch pauschale Schätzungen hinreichend begründet werden müssen. Insbesondere müssen auch diese realitätsgerecht sein. Ansonsten sind diese aufzuheben (RA Dirk Beyer in der Fachzeitschrift NWB 2018 Heft 6, S. 356).
Nach der Praxiserfahrung der Sozietät LHP sind viele Schätzungen mangelhaft. Es kommt darauf an, die richtige Strategie zu besprechen, um diese Mängel geltend zu machen. Hierbei reicht das Spektrum von Gesprächen mit der Betriebsprüfung bis zu Einsprüchen und notfalls Klageverfahren beim Finanzgericht. Wenn Steueranwälte tätig werden, bleibt der laufende Steuerberater selbstverständlich weiterhin der Berater. Das Vorgehen wird im Einzelfall zwischen allen Beteiligten abgestimmt.
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