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Die Berücksichtigung finaler Verluste im Internationalen Steuerrecht

Die Berücksichtigung finaler Verluste im Internationalen Steuerrecht – Unerwarteter Kurswechsel des EuGH hin zum Aufleben der grenzüberschreitenden Verlustberücksichtigung

Rechtsanwälte/Fachanwälte für Steuerrecht/Steuerberater in Köln berichten über Irrungen und Wirrungen der Rechtsprechung zum Thema „Finale Verluste“ und geben einen Ausblick auf bestehende Sicherheiten und Unsicherheiten.

Welche Regeln gelten, wenn nationale Steuergesetze international tätigen Unternehmen die grenzüberschreitende Verlustberücksichtigung versagen? Seit über einem Jahrzehnt beschäftigt diese Frage des Internationalen Steuerrechts sowohl die nationalen Gerichte wie auch den Europäischen Gerichtshof (EuGH), und wirft damit komplexe Problematiken auf.

Erstmals entwickelte der EuGH die Rechtsfigur der „finalen Verluste“ in dem bekannten Grundsatz-Urteil Marks & Spencer (EuGH v. 13.12.2005–C-446/03). Seitdem wurde das dort entwickelte Konzept ständig erweitert, verändert und ergänzt. Während das vorletzte Urteil des EuGH (Timac Agro, Urteil v. 17.12.2015 – C-388/14) die grenzüberschreitende Berücksichtigung finaler Verluste im Fall der abkommensrechtlichen Freistellung von im Ausland erzielten Betriebsstättengewinnen verneinte, erfolgt nun ein unerwarteter Kurswechsel durch das neuste Urteil des EuGH hierzu (Bevola/Trock, Urteil v. 12.06.2018 – C- 650/16). 

Zwecks eines besseren Verständnisses der Problematik „finale Verluste“ sollen im Folgenden, neben einem Überblick über die bisher hierzu ergangene Rechtsprechung, das Urteil „Bevola und Trock“ und die damit einhergehenden Auswirkungen, erörtert werden.

Angesichts der komplexen Lage empfehlen wir allen Steuerpflichtigen, die von dem Problem betroffen sein könnten, frühzeitig fachkundigen Rat einzuholen, um bestehende und künftige Gestaltungsmöglichkeiten gemeinsam zu erörtern.

Die Berücksichtigung finaler Verluste oder: Europäischer Binnenmarkt versus mitgliedstaatliche Fiskalinteressen

Die den Urteilen zugrunde liegende Problematik des Internationalen Steuerrechts ist eingebettet in ein Spannungsfeld zwischen europäischem Binnenmarkt und nationalen Steuergesetzen:

Der Binnenmarkt - zentrales Element europäischer Integration - setzt den freien Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital innerhalb der Europäischen Union voraus. Um diesen freien Verkehr zu gewährleisten, hat der europäische Gesetzgeber im Vertrag zur Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sogenannte Grundfreiheiten normiert: die Warenverkehrsfreiheit, die Arbeitnehmerfreizügigkeit, die Niederlassungsfreiheit, die Dienstleistungsfreiheit und die Kapitalverkehrsfreiheit.

Von zentraler Bedeutung im Internationalen Steuerrecht ist vor allem die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV). Sie umfasst das Recht jedes Unionsbürgers, eine Erwerbstätigkeit in einem anderen EU-Mitgliedstaat aufzunehmen und auszuüben, sowie das Recht ein Unternehmen zu gründen und zu leiten. Für juristische Personen beinhaltet die Niederlassungsfreiheit insbesondere das Recht, ungehindert in jedem Mitgliedstaat Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften zu gründen. Die Niederlassungsfreiheit enthält aber neben dieser freiheitsrechtlichen Dimension eine gleichheitsrechtliche Dimension: Sie verbietet Diskriminierungen nach der Staatsangehörigkeit. Im erfassten Bereich dürfen ausländische EU-Bürger grundsätzlich nicht anders behandelt werden als eigene Staatsangehörige.

Dem gegenüber stehen die nationalen Steuerregelungen der Mitgliedstaaten. Steuerhoheit und steuerliche Kompetenzen liegen, weil sie der Finanzierung der nationalen Haushalte dienen, immer noch bei den einzelnen Mitgliedstaaten. Hier hat die Europäische Union – mit Ausnahme des harmonisierten Umsatzsteuerrechts - keine Gesetzgebungsbefugnisse.

Im Internationalen Steuerrecht kann es daher zu einer Kollision der Niederlassungsfreiheit (beziehungsweise einer anderen Grundfreiheit) mit nationalen Steuergesetzen kommen, weil etwa die nationale Steuerregelung eine verbotene Diskriminierung enthält. Eine solche Kollision kann insbesondere dann entstehen, wenn eine nationale Regelung die Berücksichtigung von ausländischen Verlusten im Inland verbietet, so auch die Ausgangslage der Problematik zu den finalen Verlusten.

Die Geburtsstunde der Rechtsfigur der „finalen Verluste“ und das EuGH-Urteil „Marks & Spencer“

Um die weitere Rechtsprechungsentwicklung und Problematik zu verstehen, lohnt es sich zunächst einen genaueren Blick auf die Gedanken und die Vorgehensweise des EuGHs im Urteil „Marks & Spencer“ zu werfen.

In der dem Urteil zugrunde liegenden Rechtssache hatte das britische Einzelhandelsunternehmen Marks & Spencer den Abzug der Verluste ihrer in Belgien, Deutschland und Frankreich ansässigen Tochtergesellschaften von ihrem steuerpflichtigen Gewinn im Vereinigten Königreich geltend gemacht. Die britische Steuerverwaltung lehnte den Antrag allerdings mit der Begründung ab, dass nach britischem Steuerrecht der Konzernabzug nur für Verluste zulässig sei, die auch im Vereinigten Königreich entstanden seien.

Die von Marks & Spencer diesbezüglich eingereichte Klage endete auf nationaler britischer Ebene in letzter Instanz vor dem High Court of Justice, welcher sich dazu entschied, das Verfahren auszusetzen und den EuGH anzurufen. Dieser sollte im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens klären, ob es mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar ist, wenn ein Verlustabzug nur in Bezug auf Verluste inländischer Tochtergesellschaften, nicht aber in Bezug auf Verluste ausländischer Tochtergesellschaften, möglich ist. 

 

Die Prüfung der Berücksichtigung „finaler Verluste“ erfolgt in drei Stufen

Stufe 1: In einem ersten Schritt bejaht das Gericht das Vorliegen einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit. Die Beschränkung des Verlustabzugs auf inländische Tochtergesellschaften stelle eine nationale Steuerbegünstigung dar und könne Liquiditätsvorteile für nur im Inland tätige Gesellschaften schaffen. Werde nun die Möglichkeit des grenzüberschreitenden Verlustabzugs verwehrt, so werde die Muttergesellschaft in ihrer Niederlassungsfreiheit behindert, da sie von der Gründung von Tochtergesellschaften im EU-Ausland abgehalten werde.

Anzumerken ist, dass sich das Gericht in dem Urteil an dieser Stelle nur sehr kurz mit der Frage beschäftigt, ob eine Ungleichbehandlung im Sinne des in der Niederlassungsfreiheit enthaltenen Diskriminierungsverbotes vorliegt. Da eine Ungleichbehandlung nur dann vorliegen kann, wenn vergleichbare Sachverhalte ungleich behandelt werden, kam es hier entscheidend darauf an, ob britische Tochtergesellschaften mit ausländischen Tochtergesellschaften vergleichbar sind. Der EuGH räumt zwar ein, dass eine Vergleichbarkeit aufgrund des im Völker- und Gemeinschaftsrechts geltenden Territorialitätsprinzips ausscheidet - es fehle ja dem Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft an der Steuerhoheit über eine ausländische Tochter-, räumt aber anschließend ohne eingehende Prüfung mit einem Satz alle Bedenken aus dem Weg: Würde dieses Argument für sich alleine ausreichen, so würde die Niederlassungsfreiheit komplett ausgehöhlt werden. Eine weitergehende Begründung liefert der EuGH an dieser Stelle nicht, obwohl dieser Punkt, wie sich im weiteren Verlauf zeigen wird, höchst problematisch ist.

Stufe 2: Der zweite Schritt der Prüfung beschäftigt sich mit der Frage, ob die festgestellte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit möglicherweise gerechtfertigt werden kann. Hier erkennt das Gericht drei Rechtfertigungsgründe an, die kumulativ vorliegen müssen um die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit zu rechtfertigen.

Rechtfertigungsgrund 1: „Wahrung der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten“ Die Beschränkung der Verlustberücksichtigung verhindert es nämlich, dass ein Unternehmen sich aussucht in welchem Staat die Verluste berücksichtigt werden sollen. Anderenfalls bestehe die Gefahr, dass die jeweiligen Besteuerungsgrundlagen in beiden Staaten „ungerecht“ verteilt würden: während sich im einen Staat die Besteuerungsgrundlage durch die Verlustverrechnung verringert, erweitert sich diese im anderen Staat entsprechend.

Rechtfertigungsgrund 2: „Verhinderung doppelter Verlustberücksichtigung“ Die beschränkende Regelung vermeidet nämlich, dass Verluste sowohl im Ansässigkeitsstaat der Tochtergesellschaft, als auch im Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft, also doppelt, berücksichtigt werden.

Rechtfertigungsgrund 3: „Vermeidung von Steuerflucht“ Schließlich soll auch die Vermeidung von Steuerflucht den Eingriff in die Niederlassungsfreiheit rechtfertigen. Könne ein Unternehmen nämlich aussuchen, in welchem Mitgliedstaat die Verluste angesetzt werden sollen, so berge dies die Gefahr, dass dies in dem Staat mit dem höchsten Steuersatz geschehe, also dem Staat, in dem der steuerliche Wert des Verlustes am höchsten ist.

In der 2. Prüfungsstufe kommt der EuGH im Urteil „Marks & Spencer“ demnach zu dem Ergebnis, dass die britische Steuerregelung zur Beschränkung des Verlustabzugs ausländischer Tochtergesellschaften bei der inländischen Mutter die Niederlassungsfreiheit nicht verletzt.

Stufe 3: In einem dritten Prüfungsschritt – in der sogenannten Verhältnismäßigkeitsprüfung- fragt sich das Gericht, ob zur Erreichung der oben genannten Ziele (Rechtfertigungsgründe) nicht eine weniger belastende Maßnahme als ein generelles Verlustberücksichtigungsverbot in Betracht kommt. Bis hierhin enthielt das Urteil keine großen Überraschungen, erst an dieser Stelle entwickelt der EuGH eine bahnbrechende Neuerung: die Rechtsfigur der „finalen Verluste“.

Das Gericht stellt fest: Die beschränkende nationale Steuerregelung geht über das hinaus, was zur Erreichung der oben genannten Ziele erforderlich ist, wenn die betroffene gebietsfremde Tochtergesellschaft in ihrem Ansässigkeitsstaat alle vorgesehenen Möglichkeiten der Verlustberücksichtigung ausgeschöpft hat und auch künftig keine Möglichkeit besteht, dass die Verluste von der Tochtergesellschaft selbst oder durch Dritte berücksichtigt werden.

Kurz gesagt: Nach dem EuGH Urteil Marks & Spencer liegen finale Verluste vor, wenn die ausländische Tochtergesellschaft in ihrem Ansässigkeitsstaat keinerlei Möglichkeiten der Verlustverrechnung mehr hätte, also auf ihren Verlusten „sitzen bleiben“ würde. In diesem Fall ist der Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft im Namen der Niederlassungsfreiheit dazu verpflichtet, diese „finalen Verluste“ steuermindernd zu berücksichtigen.

Weiterentwicklungen der EuGH Rechtsprechung nach „Marks & Spencer“ und die Durchbrechung  durch „Timac Agro“

Das in der Rechtssache „Marks & Spencer“ entwickelte Konzept der „finalen Verluste“ wurde im darauffolgenden Jahrzehnt vom EuGH mehrmals aufgegriffen. Während der EuGH durch einige hierauf folgende Urteile seinen zunächst eingeschlagenen Weg bestätigte (unter anderem „Lidl Belgium“, „KR Wannsee“ sowie „Nordea Bank“), erfolgte mit dem Urteil „Timac Agro“ (EuGH Urteil vom 17.12.2015, Rs. C-388/14) eine diesbezügliche Durchbrechung.

Gefestigte Grundsätze: Übertragung der EuGH Rechtsprechung auf andere Sachverhalte und gefestigte Rechtsprechung zur „Finalität“ von Verlusten

Analysiert man die seit 2005 ergangene Rechtsprechung, so lässt sich zunächst erkennen, dass der EuGH das von ihm anhand der Konzernkonsolidierung entwickelte Konzept der „finalen Verluste“ auf weitere Sachverhalte überträgt. Zunächst erweiterte der EuGH in der Rechtssache „Lidl Belgium“ (EuGH v. 15.5.2008 – C-414/06) den Anwendungsbereich auf den Verlustabzug ausländischer Betriebsstätten. In den beiden Urteilen „KR Wannsee“ (EuGH v. 23.10.2008 – C-157/07) und „Nordea Bank“ (EuGH v. 17.7.2014 – C-48/13) wurden die Grundsätze auf den etwas komplexeren Fall angewendet, dass bereits berücksichtigte Verluste ausländischer Betriebsstätten dem im Ansässigkeitsstaat des Unternehmens zu versteuernden Einkommen wieder hinzugerechnet wurden, sei es weil die defizitäre ausländische Betriebsstätte auf einmal Gewinne erwirtschaftete (so in der Rs. „KR Wannsee“), oder sei es, weil die ausländische Betriebsstätte aufgegeben wurde (so in der Rs. „Nordea Bank“). In dem Urteil „A Oy“ (EuGH v. 21.2.2013 – C-123/11) wurde das Konzept zwischenzeitlich auf eine Situation übertragen, in der ein grenzüberschreitender Verlustvortrag im Falle einer Fusion zwischen Muttergesellschaft und ausländischer Tochtergesellschaft untersagt wurde. Schließlich übertrug der EuGH in der Rechtssache „K“ (EuGH v.7.11.2013-C-322/11) das Prinzip auf nicht-unternehmerische Einkünfte natürlicher Personen: In diesem Fall hatte die finnische Finanzverwaltung dem Steuerpflichtigen „K“ den Abzug der Verluste aus der Veräußerung einer in Frankreich belegenen Immobilie versagt.

Das dem Internationalen Steuerrecht innewohnende Problem der Kollision nationaler Steuergesetze mit den Grundfreiheiten ist also vielschichtig. Es betrifft nicht nur Konzerne, sondern auch Unternehmen mit ausländischen Betriebsstätten und Privatpersonen.

Eine weitere bedeutende Entwicklung, die heute als gefestigt angesehen werden kann, betrifft die genaue Definition der „Finalität“ von Verlusten. Die im Urteil „Marks & Spencer“ vorgeschlagene Definition, nämlich dass Finalität dann vorliegt, wenn im Ansässigkeitsstaat der Tochtergesellschaft alle vorgesehenen Möglichkeiten der Verlustberücksichtigung ausgeschöpft wurden und keine Möglichkeit besteht, dass die Verluste künftig von der Tochtergesellschaft selbst oder einem Dritten dort berücksichtigt werden, wurde vom EuGH im Folgenden präzisiert und sehr stark eingeschränkt. Die damals gewählte Formulierung umfasste sowohl eine rechtliche wie auch tatsächliche „Unmöglichkeit“ der Verlustnutzung. In dem richtungsweisenden Urteil „KR Wannsee“ (EuGH v. 23.10.2008 – C-157/07) hat der EuGH aber klargestellt, dass keine Finalität vorliege, wenn die fehlende Berücksichtigungsmöglichkeit lediglich rechtlicher Natur sei. Eine Verpflichtung zur Berücksichtigung von finalen Verlusten einer Betriebsstätte im Staat des Stammhauses bestehe nicht, wenn die Endgültigkeit der Verluste allein der Rechtsordnung des Betriebstättenstaates zuzurechnen sei. Die Niederlassungsfreiheit könne nicht dahingehend verstanden werden, dass ein Mitgliedstaat verpflichtet ist, seine Steuervorschriften auf diejenigen eines anderen Mitgliedstaats abzustimmen, um in allen Situationen eine Verlustberücksichtigung zu gewährleisten, die jede Ungleichheit, die sich aus den nationalen Steuerregelungen ergibt, beseitigt. Diese Rechtsprechung engt den Anwendungsbereich der Figur der „finalen Verluste“ stark ein. Denkbare Fälle von Finalität sind heutzutage auf wirtschaftliche Sachverhalte begrenzt. Beispielsweise könnte man dann von Finalität sprechen, wenn eine dauerhaft defizitäre Betriebsstätte allein aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus aufgegeben wird.

„Timac Agro“: Durchbrechung der bisherigen Rechtsprechung und Auswirkungen

Durch das Urteil „Timac Agro“ (EuGH Urteil vom 17.12.2015, Rs. C-388/14) schlug der EuGH bereits im Hinblick auf den bereits oben vorgestellten Prüfungspunkt der Vergleichbarkeit (Prüfungsstufe 1) einen neuen Weg ein. Im ersten Urteil „Marks & Spencer“ hatte sich der EuGH über die Problematik weitestgehend ausgeschwiegen. Erst in den Urteilen „K“ (EuGH v. 7.11.2013 – C-322/11), „Nordea Bank“ (EuGH v.17.7.2014 –C-48/13) und in dem Urteil „Timac Agro“ hat sich der EuGH näher zu der Problematik geäußert.

Ausgangspunkt der Überlegungen ist, dass eine Ungleichbehandlung nur dann vorliegen kann, wenn Vergleichbares rechtlich unterschiedlich behandelt wird. In den hier abgebildeten grenzüberschreitenden Fällen kommt es also darauf an, ob beispielsweise eine Betriebsstätte im Ausland und eine Betriebsstätte im Inland als vergleichbar angesehen werden können. Ist dies nicht der Fall, so scheidet schon auf dieser Prüfungsebene eine Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit und damit die Berücksichtigung finaler Verluste aus.

Probleme bereitet an dieser Stelle das Territorialitätsprinzip - auch im Zusammenspiel mit dem jeweils geltenden Doppelbesteuerungsabkommen (DBA): Grundsätzlich hat der Ansässigkeitsstaat des Unternehmens nämlich keine Steuerhoheit über die ausländische Betriebsstätte. Insofern kann auch nicht von „Vergleichbarkeit“ die Rede sein.

Diese Besonderheit der DBA sieht auch der EuGH. Allerdings kommt er in den Urteilen „K“ und „Nordea Bank“ aufgrund spezieller Umstände dennoch zu dem Schluss, dass eine Vergleichbarkeit vorliegt.

In der Sache „K“ war dies der Fall, weil im Ansässigkeitsstaat die nach dem einschlägigen DBA grundsätzlich im Ausland zu versteuernden Einkünfte einem Progressionsvorbehalt unterlagen (DBA Freistellungsmethode). Demnach wurden die Einkünfte zwar nicht versteuert, sie erhöhten allerdings durch die Wirkung der Progression den maßgeblichen Steuersatz. Im Endeffekt kam es also dazu, dass ausländische Einkünfte zumindest mittelbar über den Progressionsvorbehalt im Inland berücksichtigt wurden. Dies hatte zur Folge, dass der EuGH aufgrund der geltenden Freistellungsmethode im DBA in Verbindung mit einem Progressionsvorbehalt die Vergleichbarkeit in dieser Sache bejahen konnte.

In der Sache „Nordea Bank“ folgt der EuGH einem ähnlichen Argumentationsmuster. Hier kam der EuGH trotz Geltung des Territorialitätsprinzips und des entsprechenden DBA – welches nicht die Freistellungsmethode vorsah - zum Ergebnis, dass eine Vergleichbarkeit besteht, da der Ansässigkeitsstaat Verluste und Einkünfte ausländischer Betriebsstätten über die Anwendung der Anrechnungsmethode berücksichtigt hatte.

Die dem EuGH Urteil „Timac Agro“ zugrunde liegende Konstellation ähnelt – zumindest den Parametern nach - der Situation, über die der EuGH in der Rechtssache „K“ zu entscheiden hatte. Im Wesentlichen wehrte sich ein deutsches Unternehmen gegen die Nichtberücksichtigung von Verlusten, die ihre in Österreich belegene Betriebsstätte erlitten hatte. Das entsprechende DBA wies Österreich das Besteuerungsrecht zu, allerdings sah es aber auch die Freistellungsmethode unter Anwendung des Progressionsvorbehalts für Deutschland vor.

Überraschender Weise lehnt der EuGH die Vergleichbarkeit aber an dieser Stelle mit der kurzen Begründung ab, dass Deutschland (wegen der im DBA vorgesehenen Freistellungsmethode) insgesamt kein Besteuerungsrecht für die Einkünfte der österreichischen Betriebsstätte zustehe.

Diese Entscheidung, welche die Richter leider auch nicht näher begründet haben, hinterließ sowohl in der Praxis des Internationalen Steuerrechts als auch in der Steuerrechtswissenschaft größte Verwirrung. Fraglich war, ob der EuGH den Progressionsvorbehalt nun – im Gegensatz zum Urteil in der Sache „K“ – grundsätzlich, oder nur in dem speziellen Fall, weil er aufgrund der proportionalen Besteuerung von Kapitalgesellschaften keine Bedeutung hatte, für unbedeutend hielt.

Unsicher war darüber hinaus auch der Umgang des EuGH mit anderen Besonderheiten des Internationalen Steuerrechts, insbesondere der Einordnung internationaler und nationaler „subject-to-tax“ und „switch-over“ Klauseln (in Deutschland z.B. § 50d Abs. 9 EStG oder § 20 Abs. 2 AStG). Solche Klauseln führen ausnahmsweise dazu, dass ein Staat das Besteuerungsrecht „zurückerhält“ beziehungsweise von der Freistellungs- auf die Anrechnungsmethode umgestellt wird. Fraglich war, ob deren Anwendung nun zur Vergleichbarkeit führte oder nicht. Gleiches galt für die unter Umständen greifende Hinzuziehungsbesteuerung (§§ 7 ff. AStG). Auch hier stellte sich die Frage, ob die Vergleichbarkeit bejaht oder verneint werden muss.

Zu beachten ist, dass sowohl die nationale Finanzverwaltung als auch der Bundesfinanzhof (BFH) dieser Rechtsprechung vollumfänglich folgten, beispielsweise ersichtlich an dem 2017 erlassenen Urteil des BFH zur Nichtberücksichtigung finaler Verluste infolge der Veräußerung eines Mitunternehmeranteils an einer österreichischen Kommanditgesellschaft (BFH, Urteil v. 22.02.2017 – I R 2/15).

Unerwarteter Kurswechsel des EuGH durch das aktuelle Urteil „Bevola/Trock“

Mit dem neusten Urteil vom 12.06.2018 (C-650/16, „Bevola/Trock“) lässt der EuGH die totgeglaubte Möglichkeit der grenzüberschreitenden Berücksichtigung finaler Verluste aus einer in einem anderen Mitgliedsstaat belegenen Betriebsstätte im Ansässigkeitsstaat des Stammhauses wieder aufleben.

Der dieser Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt lässt sich in Kürze wie folgt zusammenfassen: Eine dänische Kapitalgesellschaft wollte die durch ihre in Finnland gelegene Betriebsstätte im Jahre 2009 gemachten Verluste, die aufgrund der Beendigung der finnischen Betriebsstätte nicht mehr nutzbar waren, im dänischen Stammhaus von der Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer abziehen. Dies geschah unter dem Hinweis auf die entsprechende Möglichkeit, sollte es sich um Verluste einer dänischen Betriebsstätte handeln und dass die damit einhergehende Ungleichbehandlung eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstelle. Zu beachten ist dabei die Besonderheit des dänischen Steuerrechts, dass ausländische Betriebsstätteneinkünfte von vornherein nicht der Besteuerung in Dänemark unterliegen (unabhängig von einer Freistellung nach DBA), aber Konzerne gleichzeitig zu einer „internationalen gemeinsamen Besteuerung“ optieren können, mit der Folge, dass das Einkommen aller ausländischen Betriebsstätten in die Bemessungsgrundlage des dänischen Stammhauses einbezogen wird, was für zehn Jahre bindend ist. Vor diesem Hintergrund stellte das dänische Gericht dem EuGH die Vorlagefrage, ob eine Verlustberücksichtigung bei Vorliegen der im Urteil „Marks & Spencer“ aufgestellten Voraussetzungen trotz nicht erfolgter Inanspruchnahme der Optionsmöglichkeit denkbar ist.

Auch in dem Urteil vom 12.06.2018 (C-650/16, „Bevola/Trock“) ist die bereits erörterte drei-stufige Prüfung des EuGH ersichtlich. Dabei muss die unterschiedliche Behandlung der Verlustberücksichtigung zwischen Gesellschaften, die eine Betriebsstätte im Mitgliedsstaat des Stammhauses haben, und solchen, deren Betriebsstätte in einem anderen Mitgliedstaat belegen ist, eine Ungleichbehandlung objektiv vergleichbarer Situationen darstellen. Der EuGH stellt eine entsprechende Ungleichbehandlung fest, die insbesondere auch nicht dadurch verneint wird, dass die Möglichkeit besteht, zur „internationalen gemeinsamen Besteuerung“ zu optieren. Denn die Optionsmöglichkeit ist an die Erfüllung zweier Voraussetzungen gebunden, nämlich einerseits, dass zwingend die gesamten Einkünfte aller Tochtergesellschaften und Betriebsstätten in Dänemark körperschaftsteuerpflichtig sind, mithin also nicht ein Wahlrecht bezüglich einzelner Tochtergesellschaften/Betriebsstätten eingeräumt wird und andererseits, dass die Optierung für zehn Jahre bindend ist, was die Gründung einer Betriebsstätte in einem anderen Mitgliedstaat wesentlich weniger attraktiv macht als die Gründung einer Betriebsstätte im Inland und damit zur Beschränkung der Niederlassungsfreiheit geeignet ist.

Die Prüfung des Umstands, ob diese Ungleichbehandlung auch Situationen betrifft, die objektiv vergleichbar sind, stellt den Schwerpunkt des Urteils dar. Unter Hinweis auf die Urteile „Nordea Bank“ und „Timac Agro“ führten die Regierungen beziehungsweise die Kommission an, dass eine Vergleichbarkeit zwischen Inlands- und Auslandsfall deshalb nicht gegeben sein könne, weil die ausländische Betriebsstätte schon nicht der Steuerhoheit Dänemarks unterliege und eine Vergleichbarkeit nur in Betracht komme, wenn der Ansässigkeitsstaat des Stammhauses auch die Einkünfte der ausländischen Betriebsstätte besteuere. Darüber hinaus habe der EuGH in diesen Urteilen festgestellt, dass der Grund für die Ungleichbehandlung im Rahmen der Vergleichbarkeitsprüfung keine Rolle spielen dürfe.

Dem widerspricht der EuGH jedoch und betont ausdrücklich, dass die Vergleichbarkeit eines Auslands- und Inlandsfalls auch unter Berücksichtigung des Ziels zu untersuchen ist, das die nationalen Bestimmungen mit der entsprechenden Regelung verfolgen und die entsprechenden Urteile nichts anderes aussagen. Der Zweck der nationalen Regelung spielt lediglich dann keine Rolle, wenn ein Mitgliedstaats Inlands- und Auslandsfall gleich behandle, bei einer Ungleichbehandlung ist der Zweck, hier die Vermeidung der Doppelbesteuerung durch Nichtberücksichtigung der ausländischen Betriebsstättengewinne beziehungsweise der doppelte Abzug der Verluste, jedoch zu berücksichtigen. Bezüglich laufender Einkünfte beziehungsweise Verluste sieht der EuGH diese Vergleichbarkeit nicht. Bezüglich „finaler Verluste“ einer ausländischen Betriebsstätte ist die Vergleichbarkeit hingegen gegeben, da sich die Situation einer Gesellschaft mit ausländischen Betriebsstätten im Hinblick auf das Ziel, den doppelten Verlustabzug zu vermeiden, nicht von der Situation einer Gesellschaft mit lediglich inländischen Betriebsstätten unterscheide (Rz. 38). Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass generelles Ziel die Besteuerung der Gesellschaft nach deren Leistungsfähigkeit ist. Die Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft mit ausländischen Betriebsstätten, die finale Verluste erleidet, ist jedoch in gleicher Weise eingeschränkt wie die Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft mit inländischen Betriebsstätten, die finale Verluste erleidet (Rz. 39).

Im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung kommt der EuGH zu dem Ergebnis, dass die Nichtberücksichtigung ausländischer Verluste und die damit einhergehende Ungleichbehandlung sich aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses rechtfertigen lässt, nämlich mittels der bereits erörterten Gründe „Wahrung der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten“, „Kohärenz des Steuersystems“ sowie „Verhinderung doppelter Verlustberücksichtigung“. Die Notwendigkeit, die Kohärenz des Steuersystems zu wahren, stellt jedoch nur einen entsprechenden Rechtfertigungsgrund dar, wenn ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem betreffenden steuerlichen Vorteil (Möglichkeit der Verlustberücksichtigung der Gesellschaft bei inländischer Betriebsstätte) und dessen Ausgleich durch eine bestimmte steuerliche Belastung (Einbeziehung der Gewinne der inländischen Betriebsstätte in das steuerpflichtige Ergebnis der Gesellschaft) dargelegt ist, wobei die Unmittelbarkeit dieses Zusammenhangs anhand des Ziels der fraglichen Regelung beurteilt werden muss. Dies ist auch vor dem Hintergrund des Ziels der Besteuerung der Gesellschaft nach Leistungsfähigkeit gerechtfertigt, da die Annahme der Berücksichtigungsmöglichkeit von Verlusten einer ausländischen Betriebsstätte bei gleichzeitiger Nichteinbeziehung der Gewinne der ausländischen Betriebsstätte die Leistungsfähigkeit dieser Gesellschaft verfälschen würde (Rz. 45 – 51).

Der EuGH kommt schließlich im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu dem Schluss, dass die beschränkende nationale Steuerregelung, die den Verlustabzug einer gebietsfremden Betriebsstätte nicht vorsieht, über das hinausgeht, was zur Erreichung der im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung genannten Ziele erforderlich ist. Das ist zumindest dann der Fall, wenn es sich um „finale Verluste“ handelt. Hier führt der EuGH aus, dass insofern die im Urteil „Marks & Spencer“ aufgestellten Anforderungen an die Finalität erfüllt sein müssen und die Rechtsprechung bezüglich der Berücksichtigung endgültiger Verluste einer gebietsfremden Tochtergesellschaft auf die Verluste gebietsfremder Betriebsstätten übertragbar ist. Die Verluste sind mithin unter den folgenden Voraussetzungen endgültig:

1.     Die Gesellschaft muss alle Abzugsmöglichkeiten betreffend diese Verluste ausgeschöpft haben, die ihr das Recht des Mitgliedstaats, in dem die ausländische Betriebsstätte belegen ist, gibt.

2.     Die Betriebsstätte darf keinerlei Einnahmen mehr erzielen, so dass keine Möglichkeit mehr besteht, die Verluste in dem anderen Mitgliedstaat zu berücksichtigen. Dies festzustellen, ist Sache des dänischen Gerichts.

Auswirkungen des EuGH Urteils „Bevola/Trock“ auf die Rechtsfigur finaler Verluste

Gut und richtig in der „Bevola/Trock“-Entscheidung ist zunächst der ausdrückliche Hinweis des EuGH, dass die im Urteil „Timac Agro“ gemachten Feststellungen bezüglich der Vergleichbarkeit zweier Sachverhalte, die das nationale Steuerrecht unterschiedlich behandelt, restriktiv anzuwenden sind (Rz. 35). Aufgrund dieser für den EuGH sehr deutlichen Aussage darf man unterstellen, dass die Vergleichbarkeit zukünftig generell zu bejahen ist, wenn ausländische Betriebsstättengewinne im Mitgliedstaat des Stammhauses freigestellt sind, aber gleichzeitig finale Verluste vorliegen. Dies sollte auch unabhängig davon gelten, ob die Freistellung aufgrund eines einseitigen Verzichts besteht oder abkommensrechtlich begründet ist.

Zudem ist anzumerken, dass die Große Kammer des EuGH, welche regelmäßig mit 15 Richtern besetzt ist, das Urteil erlassen hat. Insofern ist davon auszugehen, dass auch zukünftige Spruchkörper des EuGH sich an dieser Rechtsauffassung orientieren werden.

Vergleichbare Fälle finaler Verluste sind damit für die nationalen Steuerberater immer zu berücksichtigen. Ablehnende Bescheide der Finanzverwaltung sind dann zwingend anzufechten. Dies ist vor allem auch angesichts eventueller Haftungsfragen und damit einhergehender Schadensersatzansprüche zu berücksichtigen.

An die Rechtsprechung des EuGH sind auch die nationalen Gerichte und die Finanzverwaltung gebunden, weshalb nun auch eine Rechtsprechungsänderung des BFH (im Gegensatz zu BFH, Urteil v. 22.02.2017 – I R 2/15) in entsprechenden Fällen zu erwarten ist.

Rechtsberatung im Internationalen Steuerrecht

Wir bieten unseren Mandanten als Rechtsanwälte, Steuerberater, Fachanwälte für Steuerrecht in Köln und Zürich seit vielen Jahren eine umfassende Beratung im Internationalen Steuerrecht. Sollte die Finanzverwaltung die Verrechnung von Verlusten ausländischer Betriebsstätten oder Tochtergesellschaften versagen, empfehlen wir - vor Aufnahme eines zeit- und kostenintensiven Verfahren vor den Finanzgerichten und dem Bundesfinanzhof bis zum EuGH - zunächst eine umfassende Prüfung der Erfolgsaussichten. Im Anschluss daran entscheiden wir mit unseren Mandanten, welche Alternativen sich aufzeigen und welcher Weg beschritten werden soll.

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