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Doppelbesteuerungsabkommen und Treaty Overrides

Doppelbesteuerungsabkommen versus innerstaatliches Recht (Treaty Overrides)

Rechtsanwälte und Steuerberater, die ihre Mandanten im internationalen Steuerrecht beraten, kennen das alte Problem. Steuerpflichtige, die in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind unterliegen mit ihrem Welteinkommen der deutschen Besteuerung (§ 1 Abs. 1 S. 1 EStG). Haben ausländische Staaten ähnliche Regelungen, kann es sehr leicht zur doppelten Besteuerung der im Ausland erzielten Einkünfte kommen. Aus diesem Grund hat die Bundesrepublik Deutschland eine Vielzahl von Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) – vor allem im Bereich der Ertragsteuern (z. B. Einkommensteuer und Körperschaftsteuer) – mit anderen Staaten geschlossen.

Was sind Doppelbesteuerungsabkommen und wie kommt es zu einem Treaty Override?

Bei den DBAs handelt es sich um völkerrechtliche Verträge, die das Besteuerungsrecht in grenzüberschreitenden Sachverhalten sowie Methoden zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen regeln. Grundsätzlich haben die völkerrechtlichen Vereinbarungen Vorrang vor den deutschen Steuergesetzen (Art. 25 GG, § 2 AO). Problematisch wird es jedoch, wenn der deutsche Gesetzgeber Gesetze erlässt, die (bewusst) den völkerrechtlichen Vereinbarungen (DBA) widersprechen. Sowohl für den beratenden Rechtsanwalt / Steuerberater als auch für den Mandanten entsteht eine missliche Situation. In solchen Fällen fehlt es dann einerseits an der Rechtssicherheit, welche Regelung nun zu befolgen ist, und andererseits kann es so trotz der DBA Regeln zu einer Doppelbesteuerung kommen. Darüber hinaus stellt das Überschreiben (Treaty Override) eines DBAs durch das Einkommensteuer- oder Körperschaftsteuergesetz einen Vertragsbruch dar und kann zu Schadenersatzansprüchen führen.

Was sagt die Rechtsprechung zum Problem der Treaty Overrides?

Viele Kollegen haben unsere Auffassung als Rechtsanwälte und Steuerberater geteilt, wonach die Überschreibung von Doppelbesteuerungsabkommen in Form von Treaty Overrides gegen das Grundgesetz verstößt. Auch in der Rechtsprechung war lange streitig, inwieweit solche Überschreibungen von Völkervertragsrecht (Treaty Override) als verfassungswidrig anzusehen sind. Über genau diese Frage hat nun das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Dezember 2015 2 BvL 1/12, entschieden (Urteil des BVerfG: Treaty Overrides).

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Treaty Overrides

Gegenstand des Falls vor dem BVerfG war das DBA mit der Türkei aus dem Jahr 1985. Die Kläger, die im Jahr 2004 Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit in der Türkei erzielten, hatten durch Änderungen des Einkommensteuergesetzes umfangreichere Nachweise zu erbringen, um eine Freistellung der Einkünfte von der Besteuerung in Deutschland zu erlangen. Da sie diesen Nachweispflichten (einer Steuerbefreiung oder -zahlung in der Türkei) nicht nachkamen, kam es zur Besteuerung der Einkünfte in Deutschland. Wäre man den Regeln des DBAs gefolgt, wären die Einkünfte in Deutschland von der Besteuerung ausgenommen, also steuerfrei (unter Beachtung des Progressionsvorbehalts) gewesen (sog. Freistellungsmethode). Die Klage vor dem Finanzgericht (FG) blieb erfolglos, wodurch die nächste Instanz - der Bundesfinanzhof (BFH) - angerufen wurde.

BFH, Vorlagebeschluss vom 10. Juni 2015 – IR 66/09: Der BFH geht zunächst von der Verfassungswidrigkeit des Treaty Overrides des Doppelbesteuerungsabkommens im vorliegenden Fall aus

Der BFH hielt die entsprechenden Änderungen des Einkommensteuergesetzes (§ 50d Abs. 8 S. 1 EStG in der damaligen Fassung) für grundgesetzwidrig, wodurch die Frage schlussendlich dem BVerfG vorgelegt wurde.

In seinem Vorlagebeschluss erklärte der BFH, dass die maßgebliche Vorschrift des EStG gegen bindendes Völkerrecht verstoße und der in Art. 25 GG enthaltenen Wertentscheidung des Grundgesetzes für den Vorrang der allgemeinen Regeln des Völkerrechts (z. B. DBAs) zuwiderlaufe, ohne dass dafür ein tragfähiger Rechtfertigungsgrund vorläge. Insbesondere liege kein Tatbestand zur Abwehr von Abkommensmissbräuchen (Maßnahmen zur gestaltungsmissbräuchlichen Inanspruchnahme von Vorteilen aus bilateralen Abkommen) vor. Im vorliegenden Fall hätte dem Gesetzgeber ferner ein milderes Mittel – die Kündigung des Vertrages, die wenig später mit Wirkung zum 1. Januar 2011 erfolgte – zur Verfügung gestanden.

 

Im Rahmen der sogenannten „Görgülü“-Entscheidung (BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307-332) hatte das BVerfG darüber hinaus – allerdings nicht im Zusammenhang mit einem DBA – bereits verkündet, dass der Gesetzgeber von Verfassungs wegen gehalten sei, Völkerrecht zu beachten, wenn nicht ausnahmsweise die Voraussetzungen vorliegen, von denen das BVerfG die Zulässigkeit der Abweichungen vom Völkervertragsrecht abhängig mache. 

BVerfG, Beschluss vom 15. Dezember 2015 – 2 BvL 1/12: Das BVerfG erklärt Treaty Overrides im Zusammenhang mit Doppelbesteuerungsabkommen in seinem Beschluss für zulässig

Das BVerfG stellt zunächst fest, dass völkerrechtlichen Verträgen (also auch den DBAs), soweit sie nicht in den Anwendungsbereich einer anderen, speziellen Öffnungsklausel fallen, innerstaatlich der Rang eines einfachen (Bundes-)Gesetzes zukommt. Einfache Bundesgesetze sind z. B. auch das EStG und KStG. Bundesgesetze unterliegen aber einer stetigen Änderung durch den Gesetzgeber. Dies ist gängige Praxis, denn Bundesgesetze können jederzeit aufgehoben oder geändert werden. Das BVerfG führt dazu aus, dass der „spätere Gesetzgeber – entsprechend dem durch die Wahl zum Ausdruck gebrachten Willen des Volkes – innerhalb der vom Grundgesetz vorgegeben Grenzen Rechtsetzungsakte früherer Gesetzgeber revidieren können“ (sogenannter „lex-posterior-Grundsatz“). Somit nähmen völkerrechtliche Verträge wie DBAs in der Regel nicht an dem in Art. 25 S. 2 GG bestimmten Vorrang vor den (einfachen) Gesetzen teil. Auch das Vorliegen eines milderen Mittels sieht das BVerfG nicht zwingend in der Kündigung eines DBAs, da dieses regelmäßig damit wegfalle und somit der Steuerpflichtige der Gefahr einer Doppelbesteuerung ausgesetzt würde. Demnach wurde die Vorlage des BFHs als unbegründet erklärt, da die genannte Vorschrift mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Sie sei weder aufgrund ihres (möglichen) Widerspruchs zu völkerrechtlichen Verträgen noch wegen eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG verfassungswidrig. 

Besonderheit: Bundesverfassungsrichterin König widerspricht dem Urteil zu Treaty Overrides

Bemerkenswert und hervorzuheben ist der Umstand, dass die beteiligte Verfassungsrichterin König hier eine abweichende Meinung vertritt. Sie rügt zu Recht die Entscheidung, denn diese „lässt dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen freie Hand, sich nach dem lex-posterior-Grundsatz mit einem späteren Gesetz bewusst und gewollt über Bestimmungen in völkerrechtlichen Verträgen (bei denen es sich nicht um Menschrechtverträge handelt) hinwegzusetzen“ (BVerfG, Beschluss vom 15. Dezember 2015 – 2 BvL 1/12, „Abweichende Meinung“). Unter Bezugnahme auf die vorhergehende Rechtsprechung („Alteigentümer“-Entscheidung BVerfG, Beschluss vom 26. Oktober 2004 – 2 BvR 955/00, 2 BvR 1038/01, BVerfGE 112) weist sie auf die Pflicht, das Völkerrecht zu respektieren, hin. Vielmehr sei eine Abwägung zwischen den Kriterien, die für eine einseitige Abkehr von dem konkret in Rede stehenden völkerrechtlichen Vertrag und den Gesichtspunkten, die gegen eine Abkommensüberschreibung sprechen, vorzunehmen  und somit im Einzelfall zu entschieden.

Durch solche Vertragsbrüche stünde darüber hinaus auch die Verlässlichkeit Deutschlands als Partner im internationalen Rechtsverkehr auf dem Spiel. Jedoch wird die Praxis der Treaty Overrides durch eine weitere höchstrichterliche Entscheidung – in diesem Fall durch den Bundesfinanzhof zum DBA Aserbaidschan – bestätigt und verfestigt.     

Entscheidung des BFHs vom 25.05.2016 - I R 64/13 zum Vorrang einfachgesetzlicher Vorschriften vor Doppelbesteuerungsabkommen

In seinem Urteil vom 25. Mai 2016 entschied der BFH nun (in Anlehnung an die oben genannte Entscheidung des BVerfGs vom 15. Dezember 2015), dass die Anwendung der Vorschrift des § 50d Abs. 8 EStG (hier in der Fassung des StÄndG 2003) durch ein zeitlich nachfolgendes Doppelbesteuerungsabkommen nicht verdrängt würde.

Bemerkenswert und in dieser Deutlichkeit neu ist der Hinweis des BFH, dass es weder mit Blick auf den Rang noch auf die Zeitfolge noch auf die Spezialität der Regelung Zweifel am Vorrang des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG vor inhaltlich abweichenden völkerrechtlichen Vereinbarungen in Doppelbesteuerungsabkommen gebe. Mit anderen Worten spielt es nach Auffassung des BFH keine Rolle, welches Gesetz (nationale Regelung,z. B. § 50d Abs. 8 EStG, oder das jeweilige DBA) zuerst erlassen wurde und welches nachfolgt (sog. lex posterior).  

Doppelbesteuerungsabkommen und Treaty Overrides: LHP Rechtsanwälte und Steuerberater zum Urteil

Durch den dargelegten Beschluss des BVerfGs vom 15. Dezember 2015 wurde leider eine gängige Praxis legitimiert, Steuergesetze zu beschließen, die (bewusst) gegen völkerrechtliche Abkommen also auch bestehende DBAs verstoßen. Durch das Urteil des BFHs vom 25. Mai 2016 wurde diese Praxis insoweit noch erweitert, als dass Vorschriften, die gegen gängige Regelungen in Doppelbesteuerungsabkommen verstoßen, auch Vorrang vor zeitlich nachfolgenden Doppelbesteuerungsabkommen haben. 

Die pauschale Kategorisierung als zulässiges Vorgehen birgt unseres Erachtens das Risiko der rechtlichen Unsicherheit hinsichtlich der steuerlichen Behandlung von Auslandssachverhalten. Dies ist insbesondere bei längerfristigen Investitionsvorhaben im Ausland als äußerst kritisch zu sehen, da die steuerliche Behandlung grundsätzlich im Entscheidungsprozess berücksichtigt wird. Ferner sollte nicht außer Acht gelassen werden, welches Licht solche Vertragsbrüche auf die Bundesrepublik Deutschland werfen. Aus der dezidiert dargelegten abweichenden Meinung im Beschluss des BVerfGs durch Richterin König wird deutlich, dass über dieses Thema auch auf oberster Ebene keine Einigkeit herrscht.

Es bleibt abzuwarten, ob mit diesem Urteil tatsächlich ein Abschluss der Diskussionen rund um das Thema Treaty Override gefunden wurde, da nach wie vor eine Vielzahl von Kritikpunkten offen bleibt.

Einige DBAs enthalten bereits in ihrer aktuellen Version sogenannte „Öffnungsklauseln“, die dem jeweiligen Vertragsstaat die Möglichkeit der Hinzurechnungsbesteuerung in Form eines Treaty Override einräumen. In der Literatur wird davon ausgegangen, dass solche Öffnungsklauseln wohl vermehrt zur Anwendung kommen (Vgl. Kraft/Schreiber, FR 2005, 328-329). Es scheint, als ob diese Entwicklung möglicherweise – wenn auch zu Lasten der Steuerpflichtigen – durch die Entscheidung des BVerfGs zukünftig weiter fortschreitet.

Zur „Ehrenrettung“ sei abschließend angemerkt, dass die Methode der Treaty Overrides von DBAs kein deutscher Alleingang ist, sondern von vielen Staaten praktiziert wird. Das mag für das Verhältnis der Staaten untereinander eine Rechtfertigung sein, nicht jedoch für das Verhältnis zu den Steuerbürgern.


An der Erstellung dieses Artikels hat mitgewirkt:
Linda Konken
Angestellte Steuerberaterin, Diplom-Kauffrau

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