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Wann nimmt sich die Staatsanwaltschaft in Steuerstrafverfahren einen Fall „zur Brust“?

Oft werden Steuerstrafverfahren durch die Steuerfahndung oder Straf- und Bußgeldsachenstelle eingeleitet. Der BGH verlangt von den Staatsanwaltschaften, dass sie sich vermehrt um Fälle im Steuerstrafrecht als „Verfahrensherrin“ kümmern.

In manchen Fällen hat es eine besondere Bedeutung für den Beschuldigten, ob die Strafsachenstelle oder die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen im Steuerstrafverfahren führt. Ist z.B. bekannt, dass die örtliche Strafsachenstelle eher milde gestimmt ist, so ist es vorteilhaft, wenn diese die sog. „Verfahrensherrin“ ist. Doch das Recht der Staatsanwaltschaft, einen Fall zu übernehmen, kann diesem Ziel einen Strich durch die Rechnung machen. Eine durchdachte Verteidigungsstrategie sollte diese Aspekte berücksichtigen.

1. Was bedeutet Evokationsrecht?

Das Evokationsrecht bedeutet, dass die Staatsanwaltschaft (StA) berechtigt ist, einen Steuerstrafrechtsfall, welcher bisher von der Straf- und Bußgeldsachenstelle eines Finanzamtes (kurz: BuStra bzw. StraBuSt) bearbeitet wird, an sich zu ziehen und damit dann für diesen Fall zuständig zu sein (§ 386 Abs. 4 Satz 2 AO). Der BGH hat in seiner aktuelleren Rechtsprechung darauf hingewiesen, dass Staatsanwälte verpflichtet sind, ihre Befugnis zur Evokation ernst zu nehmen (Aktenzeichen: 1 StR 90/09).

Hinweis der Steueranwälte von LHP: Der beschuldigte kann die Ausübung des Evokationsrechts nicht immer sofort erkennen. Denn für die Ausübung ist keine formelle Erklärung der Staatsanwaltschaft (StA) erforderlich, sondern es genügt z.B. die Einleitung von Ermittlungen durch die StA als konkludentes Verhalten.

2. In welchen Fällen kommt es zur Evokation?

Das Evokationsrecht steht im pflichtgemäßen Ermessen der Staatsanwaltschaft (StA). Für diese Ermessensentscheidung werden in Nr. 267 Abs. 1 der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV) Vorgaben gemacht, in welchen Fällen insb. eine Übernahme der Sache durch die StA in Betracht kommt. Hierbei handelt es sich um folgende Fälle:

  • wegen des Umfangs und der Bedeutung der Steuerstraftat,
  • wenn die Steuerstraftat/Zollstraftat mit einer anderen Straftat zusammentrifft,
  • falls der Verdacht der Beteiligung eines Angehörigen der Finanzverwaltung besteht oder
  • wenn dies aus sonstigen besonderen Gründen geboten erscheint.

Wenn die StA ihre Evokationsbefugnis ausübt, kann die Finanzbehörde dem nicht widersprechen.

Hinweis der Steueranwälte von LHP: Eine Selbstanzeige sollte professionell vorbereitet werden. Denn die Beurteilung ob eine Selbstanzeige im Einzelfall wirksam ist oder nicht, wird in der Praxis oftmals von der StA im Rahmen ihres Evokationsrechts geprüft bzw. die Finanzbehörde gibt diese Fälle an die StA ab. Dies verlangt auch der BGH (Aktenzeichen: 1 StR 577/09).

3. Wie funktioniert die Evokation?

Im Interesse einer einheitlichen Strafzumessungspraxis informiert sich die Staatsanwaltschaft (StA) über die den Strafbefehlsanträgen der Finanzbehörde zugrunde liegenden allgemeinen Erwägungen (Nr. 267 Abs. 2 der oben genannten Richtlinie RiStBV). Da das Evokationsrecht nach BGH-Ansicht in der Vergangenheit nicht immer hinreichend wahrgenommen wurde, hat das Gericht die Ermittlungsbehörden hierzu ausdrücklich nochmals hingewiesen. Eine generelle Verpflichtung zur Unterrichtung über jegliche Fälle besteht jedoch nicht. In der Praxis dienen auch Klima- und Kontaktgespräche zwischen StA und Finanzbehörde der Kooperation.

4. Abgaberecht der Straf- und Bußgeldsachenstelle

Umgekehrt hat die Finanzbehörde ein Abgaberecht gem. § 386 Abs. 4 Satz 1 AO. Die Finanzbehörde kann einen Fall nach pflichtgemäßem Ermessen an die Staatsanwaltschaft (StA) abgeben, wobei sich die Ermessensgesichtspunkte aus der oben genannten Richtlinie Nr. 22 Abs. 1 Satz 2 AStBV (St) ergeben.

Hinweis der Steueranwälte von LHP: Die Finanzbehörde lässt sich bei ihrer Entscheidung oftmals von denselben Überlegungen leiten wie die StA bei der Ausübung ihres Evokationsrechts. Insbesondere Selbstanzeigen werden an die StA abgegeben und daher oft besonders unter die Lupe genommen. Eine sorgfältige Vorbereitung einer Selbstanzeige ist daher empfehlenswert.

Dies bedeutet, dass beide Befugnisse spiegelbildlich zueinander stehen. Abgegeben werden z.B. Fälle, in denen sich der Beschuldigte in U-Haft befindet oder die Angelegenheit strafrechtlich besonders schwierig ist (z.B. Irrtumsfragen, Täter- und Teilnahmeprobleme). In den Fällen, in denen es sich nicht nur um ein reines Steuerstrafverfahren handelt (z.B. kombiniert mit dem Vorwurf der Urkundenfälschung), ist die Finanzbehörde verpflichtet, den Fall an die StA abzugeben (vgl. § 386 Abs. 2 AO), so dass es sich dann um eine bloße Weiterleitung an die zuständige Behörde handelt.

Hinweis der Steueranwälte von LHP: Ob der Verteidiger die Nichtabgabe an die StA rügen sollte, hängt vom Einzelfall ab. Wenn z.B. bekannt ist, dass die StA eine für den Beschuldigten nachteilige Rechtsansicht vertritt, kann es vorteilhaft sein, einen Fall „geräuschlos“ mit der Finanzbehörde zu erledigen.

5. Staatsanwaltschaft muss aber die Grenzen des Evokationsrechts beachten

Das Evokationsrecht dient weder dazu, die Regelzuständigkeit der Finanzbehörde auszuhöhlen noch die Finanzbehörde zu überwachen. Die Staatsanwaltschaft (StA) muss konsequent sein: Wenn sie ihr Evokationsrecht nicht ausübt, darf sie keine Fachaufsicht (Sachaufsicht) über die Finanzbehörde ausüben. Selbstverständlich bleibt es der StA aber unbenommen, bei einer unterschiedlichen Auffassung über die Führung eines Strafverfahrens dieses von der Finanzbehörde im Rahmen des Evokationsrechts zu übernehmen. Faktisch kommt es daher in der Praxis durchaus zu (nicht so genannten) „Weisungen“.

Auch in zeitlicher Hinsicht ist das Evokationsrecht beschränkt. Umstritten ist aber der maßgebliche Zeitpunkt, bis zu welchem die Evokationsbefugnis besteht. Auf die Einzelheiten soll hier an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. .

Beraterhinweis: Wird vorgenannte Ansicht vertreten, könnte der Berater versuchen, auf die StA einzuwirken, um z.B. einen unvertretbaren Strafbefehlsantrag der Finanzbehörde nach Ausübung des Evokationsrechts zurückzunehmen.

6. Ist Rechtsschutz gegen die Evokation möglich?

Die Evokation bzw. Abgabe der Strafsache an die Staatsanwaltschaft (StA) ist eine strafprozessuale Maßnahme, so dass weder das Einspruchs- und damit erst recht nicht das finanzgerichtliche Klageverfahren eröffnet sind (vgl. § 33 Abs. 3 Finanzgerichtsordnung - kurz FGO -). Die StA bzw. Finanzbehörde wird vielmehr im Rahmen ihrer Funktion als Strafverfolgungsbehörde und damit als Justizbehörde i.S.d. §§ 23 ff. EGGVG tätig. Damit wäre grundsätzlich der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten (Strafgericht) eröffnet. Trotzdem ist umstritten, ob dieser ordentliche Rechtsweg gegeben ist. Es handele sich bei der Abgabe um keinen Justizverwaltungsakt i.S.d. § 23 EGGVG, sondern nur um eine nicht selbständig anfechtbare, vorbereitende Prozesshandlung sei. Dies ist jedoch streitig.

Alternativ können formlose Rechtsbehelfe wie die Gegenvorstellung oder die Dienstaufsichtsbeschwerde geprüft werden.

Hinweis der Steueranwälte von LHP: Eine Dienstaufsichtsbeschwerde ist nur ultima ratio und meist nicht das Mittel der Wahl. Sie ist oft nicht fruchtbar für den Mandanten und sollte daher nur in extremen Ausnahmefällen erwogen werden. Hingegen kann eine Gegenvorstellung mit sachlich pointiert vorgetragenen Argumenten durchaus die Chance bieten, Einfluss zu nehmen. Zumindest wird den Behörden der Fall „lästig“, weil das Vorgehen des Verteidigers nicht der gewohnten Routine der Behörden entspricht.

Das Evokationsrecht der Staatsanwaltschaft und das Abgaberecht der Finanzbehörde sind in der Praxis weitgehend nicht gerichtlich überprüfbar. Die Steuerstrafverteidiger von LHP weisen jedoch darauf hin: Trotzdem kann in Steuerstrafverfahren geprüft werden, ob es aus Sicht der Verteidigung Sinn macht, die örtliche Staatsanwaltschaft einzubinden oder nicht. Der Verteidiger wird überprüfen, ob er eine Evokation anzuregen. Dies kann förderlich sein, wenn das voraussichtliche Verfahrensergebnis bei einer Bearbeitung durch die Staatsanwaltschaft günstiger ausfallen wird oder wenn die Finanzbehörde voreilig einen Strafbefehl beantragen will. Umgekehrt wird der Verteidiger versuchen, den Fall bei der Strafsachenstelle zu halten wenn er sich hiervon ein günstigeres Ergebnis verspricht. 

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