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Risiko Betriebsprüfung: Verdacht einer Steuerhinterziehung

Die Praxis zeigt es immer wieder: Insbesondere in Betriebsprüfungsverfahren kann sich ein Verdacht einer Steuerhinterziehung ergeben. Der Unternehmer ist damit möglicherweise das erste Mal mit dem Vorwurf einer Steuerhinterziehung konfrontiert.

Doch wieso wird im Fall X ein Steuerstrafverfahren eingeleitet und im Fall Y nicht? Häufig scheuen sich Betriebsprüfer in der Betriebsprüfung ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren einzuleiten. Die Motive und Ursachen mögen unterschiedlich sein. Gemäß § 10 Betriebsprüfungsordnung (BpO) 2000 muss sich der Prüfer während der gesamten Prüfung darüber Gedanken machen, ob er einen Anfangsverdacht und gegebenenfalls ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren zum Schutz des Steuerpflichtigen einleitet oder nicht. Insbesondere im Rahmen der digitalen Außenprüfung stellt sich hier immer öfter die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Strafverfahren einzuleiten ist oder nicht.

Die Antwort auf die Frage, ob eine Steuerhinterziehung vorliegt oder nicht hat weitreichende Bedeutung auch im Besteuerungsverfahren. Z.B. für die verlängerte Festsetzungsverjährung des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO und die Festsetzung von Hinterziehungszinsen gem. § 235 AO. Die Feststellungslast (Beweislast) für den objektiven und subjektiven Tatbestand (Vorsatz) der Hinterziehung liegt beim Finanzamt.

I. Verwaltungsvorschriften binden den Betriebsprüfer

§ 10 Betriebsprüfungsordnung (BpO) regelt als Verwaltungsvorschrift das Prozedere, wenn der Prüfer den Verdacht einer Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit erlangt. Gem. § 10 Abs. 1 Satz 1 BpO ist der Prüfer in diesem Fall angewiesen, unverzüglich die BuStra/StraBu zu unterrichten. Um den Steuerpflichtigen vor einer Fortsetzung der Prüfung unter Fortgeltung seiner Mitwirkungspflichten auf „vermintem“ Gebiet zu bewahren, besteht die Unterrichtungspflicht gegenüber der Ermittlungsbehörde nach § 10 Abs. 1 Satz 2 BpO bereits dann, „wenn lediglich die Möglichkeit besteht, dass ein Strafverfahren durchgeführt werden muss“. Bloße Vermutungen führen jedoch zu keiner solchen Unterrichtungspflicht. Zusätzlich muss der Betriebsprüfer beachten, dass die obersten Finanzbehörden der Bundesländer am 31.8.2009 einen Anwendungserlass zur Konkretisierung der vorgenannten Unterrichtungspflicht beschlossen haben (BStBl. I 2009, 829).

Hinweis der Steueranwälte von LHP: Mit diesen Vorschriften versucht die Verwaltung, ihren Prüfern die Entscheidung zu erleichtern, wann diese die Strafsachenstelle informieren müssen. Diese Regelungen helfen dem Prüfer und auch dem Berater im Einzelfall nicht immer weiter.

II. Besteuerungs- und Strafverfahren sind zu trennen

Die Einleitung eines Steuerstrafverfahren zeigt ihre besondere Bedeutung auch darin, dass ab dann zwei unabhängige Verfahren bestehen:

  • In strafrechtlicher Hinsicht hat der Beschuldigte ein Schweigerecht und ist zur Mitwirkung (Selbstbelastung) nicht verpflichtet (§§ 136, 163 StPO).
  • Im Besteuerungsverfahren kann seine steuerlich fortbestehende Mitwirkungspflicht nicht mehr mittels Zwangsmitteln durchgesetzt werden (§ 393 Abs. 1 Satz 2 AO). Hierüber ist der Steuerpflichtige zu belehren (§ 393 Abs. 1 Satz 4 AO).

Hinweis der Steueranwälte von LHP: Die Einleitung des Strafverfahrens ist dem Beschuldigten spätestens mitzuteilen, wenn er dazu aufgefordert wird, Tatsachen darzulegen oder Unterlagen vorzulegen, die im Zusammenhang mit der Straftat stehen, derer er verdächtig ist (§ 397 Abs. 3 AO). Bei den o.g. Regelungen handelt es sich allerdings nur um eine Verwaltungsvorschrift, so dass diese nicht gesetzliche Regelungen überspielen können. Auch aus Beratersicht sind diese Regelungen interessant, weil sie ihm ein Bild vermitteln, in welchen Fällen mit einer Einleitung zu rechnen ist.

Hinweis der Steueranwälte von LHP: In manchen Fällen ist es durchaus hilfreich, dass der Begriff des Anfangsverdachts flexibel und nicht abschließend definiert ist, so dass sich Argumentationspotential ergibt, ein Strafverfahren zu vermeiden. Insb. hängt es auch von dem jeweiligen Prüfer ab, ob er sich selbst hundertprozentig absichern will. Denn dann leitet er im Zweifel eher ein Strafverfahren ein, um einen Vorwurf gegen sich selbst gem. § 258a StGB zu vermeiden. Häufig hängt die Annahme eines Anfangsverdachts insbesondere vom Verfolgungswillen der Behörden ab.

III. Gesetzliche Regelung des Anfangsverdachts

Ausgangspunkt für eine Definition ist die gesetzliche Regelung des § 152 Abs. 2 StPO. Nach dieser Regelung haben Strafverfolgungsbehörden bei jeder verfolgbaren Tat einzuschreiten, sofern „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“ vorliegen. Dies ist dann der Fall, wenn ein strafprozessualer Anfangsverdacht besteht. Genauer ist dieser Begriff gesetzlich nicht definiert, so dass die Rechtsprechung zur Auslegung heranzuziehen ist. Ein Anfangsverdacht liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn es • aufgrund konkreter Tatsachen

  • nach kriminalistischer Erfahrung
  • möglich erscheint, dass eine verfolgbare Straftat vorliegt (BGH v. 21.4.1988 – III ZR 255/86).

Hinweis der Steueranwälte von LHP: Diese Definition zeigt, dass es sich um einen dehnbaren Begriff handelt. Trotzdem ist er nicht in das Belieben des Rechtsanwenders gestellt. Negativ formuliert – und diese Sichtweise dient eher der Beratersicht – fehlen konkrete Tatsachen insb. dann, wenn nur die bloße Möglichkeit einer Steuerhinterziehung besteht (vgl. z.B. Nr. 26 AStBV (St) 2014, BStBl. I 2013, 1394). Daher liegen konkrete Tatsachen jedenfalls dann nicht vor, wenn nur unverbürgte Gerüchte, bloße Vermutungen oder statistische Häufigkeiten bestehen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl. 2015, § 152 Rz. 4). Die kriminalistische Erfahrung meint ein subjektives Moment, also einen gewissen Spielraum des Entscheiders bei der Frage, ob ein Strafverfahren einzuleiten ist oder nicht (BGH v. 21.4.1988 – III ZR 255/86). Hierfür ist eine Gewissheit nicht notwendig ist und entfernte Indizien genügen (OLG Frankfurt v. 20.7.1995 – 3 VA 25/95). Zweifel an der Richtigkeit des Verdachts dürfen überwiegen. Es ist allerdings notwendig, dass die Wahrscheinlichkeit über die bloß theoretische Möglichkeit einer Steuerhinterziehung hinausgeht (Jäger in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl. 2009, § 397 AO Rz. 43).

Hinweis der Steueranwälte von LHP: Nach zutreffender Ansicht ist aus Gründen der Verhältnismäßigkeit aber ein erhöhter Grad der Wahrscheinlichkeit notwendig, wenn Durchsuchungen auf einen Anfangsverdacht gestützt werden (umstritten). Eine Definition hierfür ist nicht möglich, vielmehr ist im Einzelfall eine Abwägung der beteiligten Rechtsgüter geboten (umstritten, vgl. Jäger in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl. 2009, § 397 AO Rz. 44).

IV. Unterrichtungspflicht gegenüber der Strafsachenstelle (sog. BuStra)

Die im oben genannten Anwendungserlass v. 31.8.2009 genannten Negativ- und Positivbeispiele betreffen nach zutreffender Ansicht nicht nur den Anfangsverdacht, sondern auch die vorgelagerte Frage, ob unterhalb der Schwelle eines Anfangsverdachts bereits eine Unterrichtung der BuStra/StraBu geboten ist (sog. Unterrichtungspflicht). Dies ist aber streitig. Erst die BuStra/StraBu entscheidet dann über die Einleitung, so dass auch auf der Ebene dann noch Argumentationsmöglichkeit besteht. Rechtlich darf aber auch der Betriebsprüfer ein Steuerstrafverfahren einleiten. Dies kommt in der Praxis durchaus ab und zu vor. Allerdings muss er die Strafsachenstelle über die Einleitung informieren und darf das Strafverfahren nicht „persönlich“ verwalten.

Negativ-Fälle eines Anfangsverdachts:

  • Nach o.g. Anwendungserlass v. 31.8.2009 sollen „grundsätzlich“ keine tatsächlichen Anhaltspunkte und damit keine Unterrichtungspflicht gem. § 10 BpO bestehen bei
  • Vorliegen und Auswerten von Kontrollmitteilungen (so der Grundsatz); die Grenze ist nach dem Anwendungserlass erst überschritten, wenn sich herausstellt, dass die mitgeteilten Zahlungen keinen Niederschlag in der Buchführung gefunden haben und deshalb die Steuer zu niedrig festgesetzt wurde;
  • Durchführung von Kalkulationen oder Verprobungen (Geldverkehrsrechnung, Richtsatzverprobung, Chi-Quadrat-Test, Zeit-Reihen-Vergleich etc.), selbst wenn diese aufgrund vorhandener Differenzen erfolgen; dies gilt nach dem Anwendungserlass jedoch nur, wenn nicht bereits anderweitige konkrete tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat gegeben sind, z.B. wegen Vorliegens von Kontrollmitteilungen steht schon fest, dass Einnahmen nicht vollständig erklärt worden sind;
  • von Richtsatzsammlung abweichendem Betriebsergebnis;
  • der Notwendigkeit von Rückfragen zur Klärung beispielsweise aufgrund einer Verprobung oder der Vorlage einer Kontrollmitteilung;
  • lediglich formellen und kleinen materiellen Fehlern in der Buchführung;
  • offensichtlichem Fehlen schuldhaften Verhaltens oder sonstiger Tatbestandsmerkmale. In diesen Fällen besteht daher nach Ansicht der Verwaltung erst recht kein Anfangsverdacht.

Positiv-Fälle eines Anfangsverdachts:

Tatsächliche Anhaltspunkte und damit eine Unterrichtungspflicht gem. § 10 BpO sollen nach o.g. Anwendungserlass insb. aber dann vorliegen, wenn

  • die Durchführung von Kalkulationen oder Verprobungen zu Differenzen von einigem Gewicht führen, wie beispielsweise der Erklärung von Vermögenszuwächsen durch unplausible Geldzuflüsse durch Verwandtendarlehen oder Spielgewinne;
  • ungebundene Privatentnahmen, die offensichtlich nicht zur Bestreitung des Lebensunterhaltes ausreichen, erfolgen;
  • schwerwiegende Buchführungsmängel, insb. das Fehlen sonst üblicherweise vorhandener Belege, vorliegen; 
  • verschwiegene oder irreführend bezeichnete Bankkonten auftauchen;
  • wesentlich zu niedrig bewertete Aktiv-Bestände oder erheblich zu hoch bewertete passive Bestände des Betriebsvermögens bilanziert werden;
  • in Kontrollmitteilungen enthaltene Einnahmen nicht in der Buchhaltung erfasst sind;
  • eine Selbstanzeige vorliegt;
  • konkrete Verdachtsmomente für die Manipulation von Belegen sprechen; der Anwendungserlass weist den Prüfer für diese Fälle auf die Gefahr im Verzug hin: ggf. müsse hier bereits wegen Gefahr im Verzug das Strafverfahren unverzüglich eingeleitet werden, damit Originalbelege beschlagnahmt werden können). Beachten Sie: Ein besonderer Fall des Manipulationsverdachts mit ggf. auch strafrechtlichen Konsequenzen kann sich für Mandanten und Beteiligte (auch für den Softwarehersteller) ergeben, wenn Manipulationssoftware entdeckt wird. Es gibt Software, welche bereits im System installiert ist (sog. „Phantomware“) als auch Software auf externen Datenträgern wie z.B. einem USB-Stick („Zapper“).

Hinweis der Steueranwälte von LHP: Nach einer Ansicht in der Finanzverwaltung sollen bereits Differenzen von 5.000 € für eine Unterrichtungspflicht genügen. Hiergegen spricht jedoch, dass diese starre und niedrige Grenze praktisch stets erfüllt ist. Es kommt daher nicht auf eine feste Größe, sondern auf die konkreten Einzelfallumstände an. Bestimmte Methoden, wie sog. Zeitreihenvergleich und der Chi-Quadrat-Test, haben einen umstrittenen Beweiswert. Denn nach Ansicht des BFH bedarf die Rechtsfrage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen oder Einschränkungen der Zeitreihenvergleich eine geeignete Methode zur Schätzung der Besteuerungsgrundlage darstellt, noch der höchstrichterlichen Klärung (BFH v. 14.5.2013 – X B 183/12). Zunächst ist daher entscheidend, ob eine bestimmte Methode überhaupt wissenschaftlich ist und zu nach der Rechtsprechung anerkannten Ergebnissen führen kann und zutreffend angewandt wird. Ohne eine solche Klärung können generelle Aussagen über die Begründung eines Anfangsverdachts aufgrund von Ergebnissen von Prüfungsmethoden nicht getroffen werden. Hierzu fehlt jedoch noch Rechtsprechung.

V. Hinweispflicht gegenüber Steuerpflichtigem

In der Praxis berichten Mandanten und Steuerberater nicht selten darüber, dass bis einschließlich zur Schlussbesprechung kein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. Erst in den Schlussbemerkungen der BP-Berichte steht in diesen Fällen ein sog. „straf- und bußgeldrechtlicher Vorbehalt“. Der Steuerpflichtige wird hierdurch darauf hingewiesen, dass die straf- und bußgeldrechtliche Würdigung der Prüfungsfeststellungen einem besonderen Verfahren vorbehalten bleibt (§ 201 Abs. 2 AO). Unseres Erachtens ist es allerdings geboten, dass der Steuerpflichtige bereits im Vorfeld eines Anfangsverdachts einen Warnhinweis erhält. Nur für die Schlussbesprechung bzw. den Abschluss des Verfahrens hat der Gesetzgeber hierfür eine besondere Regelung getroffen (§ 201 Abs. 2 AO). Nach dieser Regelung „soll“ der Steuerpflichtige darauf hingewiesen werden, dass die straf- oder bußgeldrechtliche Würdigung einem gesondertem Verfahren vorbehalten bleibt, wenn die Möglichkeit, dass aufgrund der Prüfungsfeststellungen ein Straf- oder Bußgeldverfahren durchgeführt werden muss.

Praxishinweis: Die Hinweispflicht gem. § 201 Abs. 2 AO betrifft bereits die Schwelle unterhalb eines Anfangsverdachts. Diese gesetzliche Regelung hat somit eine Schutzfunktion für den Steuerpflichtigen. Der Berater sollte zusammen mit dem Mandanten besprechen, ob sich der Mandant ggf. auf sein strafprozessuales Schweigerecht berufen kann bzw. sollte.

Die Praxis der Betriebsprüfung zeigt, dass der Anfangsverdacht nur einzelfallbezogen beurteilt werden kann. Die Steueranwälte von LHP prüfen die Situation im Einzelfall. Der Anfangsverdacht führt dazu, dass der Steuerpflichtige weitere Rechte hat, die von den Ermittlungsbehörden zu beachten sind. Hierüber klären wir unsere Mandanten auf. Im Strafverfahren besteht insbesondere das Recht, strafrechtlich zu schweigen. Nach zutreffender Ansicht müssen Betriebsprüfer den Steuerpflichtigen während des gesamten steuerrechtlichen Prüfungsverfahrens über einen etwaigen strafrechtlichen Anfangsverdacht hinweisen. Überraschungseffekte sind unzulässig und können zudem zu Verwertungsverboten führen.

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