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Anspruch auf Akteneinsicht beim Finanzamt

Bisher haben Finanzämter oftmals Anträge auf Akteneinsicht nach ihrem Ermessen abgelehnt. Eine effektive Rechtsverteidigung zugunsten des Steuerpflichtigen setzt jedoch eine Akteneinsicht beim Finanzamt voraus. Die behördlichen Maßnahmen sind nur dann überprüfbar.

Hinweis von LHP aus Köln: Im Steuerstrafverfahren hat der Verteidiger ein Akteneinsichtsrecht gem. § 147 StPO. Er hat also schon nach bisheriger Rechtslage einen Anspruch, den er für seinen Mandanten durchsetzen kann. Es bestehen hierbei nur wenige Ausnahmen im Strafverfahren.

Doch zurück zum steuerlichen Verfahren. Dem Steuerpflichtigen steht auf der Grundlage des EU-Gemeinschaftsrechts und der nationalen Umsetzungsnormen ein Anspruch auf Akteneinsicht zu. Entscheidungen des EuGH und des Finanzgericht Saarland begründen, dass den Beteiligten in steuerlichen Verfahren nunmehr durch die DSGVO und aufgrund der Ausprägung des unionsrechtlichen Grundsatzes der Wahrung der Verteidigerrechte ein Anspruch auf Akteneinsicht im finanzbehördlichen Verwaltungsverfahren zusteht, ohne dass der Finanzbehörde hierbei ein Ermessensspielraum zukommt. DSGVO ist die Abkürzung für die Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.4.2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG.

Hinweis von LHP aus Köln: Die hier vertretene Ansicht ist umstritten. Das FG Niedersachsen vertritt die Ansicht, dass sich aus der DSGVO nicht in jedem Fall ein gebundener Anspruch auf Akteneinsicht ergebe (FG Niedersachsen v. 28.1.2020 – 12 K 213/19 ). Die Vorschriften der DSGVO gelten nach Ansicht des Gerichts im Bereich des Steuerrechts nur für den Bereich der harmonisierten Steuern, wie der Umsatzbesteuerung, nicht indes für die Einkommensbesteuerung natürlicher Personen (§ 2 Abs. 2 Buchst. a DSGVO ) und der sachliche Anwendungsbereich sei auch nicht – auch nicht zugunsten des Steuerpflichtigen – durch ein Schreiben der Finanzverwaltung (entgegen BMF v. 13.1.2020, BStBl. I 2020, 143) erweitert worden.

1. Anspruch aus Art. 15 Abs. 1 Halbsatz 2, Abs. 2 DSGVO

Das FG Saarland stellte fest, dass seit dem Inkrafttreten der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.4.2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (kurz: DSGVO, ABl. L 119 vom 4.5.2015, S. 1 bis 88) ab 25.5.2018 für alle Steuerpflichtigen ein gebundener Anspruch auf Akteneinsicht bei der Finanzbehörde besteht (so das FG Saarland in seinem Leitsatz im Beschluss v. 3.4.2019 – 2 K 1002/16, EFG 2019, 1217; im Ergebnis ebenso z.B. Bleschik, DStR 2018, 1050 [1053 ff.]; Haverkamp/Meinert, AO-StB 2019, 276).

Dieser Anspruch ergibt sich nach Ansicht des FG Saarland seit Inkrafttreten der DSGVO am 25.5.2018 aus eben dieser. Dabei steht allen Steuerpflichtigen ein gebundener Anspruch auf Akteneinsicht bei der Finanzbehörde zu. Denn Art. 15 der DSGVO begründet einen Auskunftsanspruch über sämtliche verarbeiteten personenbezogenen Daten. Der Auskunftsanspruch ist unabhängig davon, ob die Daten vor oder nach dem Inkrafttreten der DSGVO gewonnen wurden, oder ob es sich um digitale Daten oder um Daten in Papierform handelt.

Das FG Saarland stellte weiterhin ausdrücklich fest, dass der Anspruch auf Akteneinsicht nicht vom Ermessen der Finanzbehörde abhängt. Vielmehr geht insoweit das Unionsrecht in Form der DSGVO vor. Auch § 32d Abs. 1 AO kann ein diesbezügliches Ermessen der Finanzbehörde nicht rechtfertigen, da insoweit mit Art. 15 DSVGO eine vorrangige unionsrechtliche Regelung besteht. Der gegenteiligen Ansicht der Finanzverwaltung, welche ein Ermessen annimmt, kann daher nicht gefolgt werden (vgl. BMF v. 12.1.2018, BStBl. I 2018, 185). Jedenfalls hat das BMF ausdrücklich anerkannt, dass die DSGVO jedenfalls auf haftungsrechtliche Verfahren anwendbar ist (BMF v. 13.1.2020, BStBl. I 2020, 143). Damit besteht eine Selbstbindung der Verwaltung, an die auch das Finanzamt gebunden ist, so dass die Anwendbarkeit der DSGVO hier nicht in Frage gestellt werden kann.

Hinweis von LHP aus Köln: Im Ergebnis ist damit festzuhalten, dass dem Steuerpflichtigen ein Anspruch auf Akteneinsicht aus Art. 15 DSGVO zusteht, der nicht vom Ermessen des Finanzamtes abhängig ist.

2. Unionsrechtlicher Grundsatz der Wahrung der Verteidigerrechte

Unser Mandant kann seinen Anspruch auf Akteneinsicht auch auf das allgemeine Gemeinschaftsrecht stützen. Der EuGH hat zur gemeinschaftsrechtlichen Rechtsgrundlage eines Anspruchs auf Akteneinsicht ausgeführt: „Der allgemeine unionsrechtliche Grundsatz der Wahrung der Verteidigerrechte ist dahin auszulegen, dass es in Verwaltungsverfahren zur Überprüfung und Festlegung der Bemessungsgrundlage (hier für die Mehrwertsteuer) möglich sein muss, auf Antrag Zugang zu den Informationen und Dokumenten zu erhalten, die in der Verwaltungsakte enthalten sind und die von der Behörde für den Erlass ihrer Entscheidung berücksichtigt werden, es sei denn, eine Beschränkung des Zugangs zu diesen Informationen und Dokumenten ist durch dem Gemeinwohl dienende Ziele gerechtfertigt.“ (Urteil v. 9.11.2017 – C-298/16).

Aus dieser Entscheidung ergibt sich – unabhängig von dem Akteneinsichtsrecht auf Basis der DSGVO – eine zweite Rechtsgrundlage für ein gebundenes Akteneinsichtsrecht im steuerlichen Verwaltungsverfahren (vgl. Bleschik, DStR 2018, 1050 [1053 ff.]). Als Ausprägung des unionsrechtlichen Grundsatzes der Wahrung der Verteidigerrechte ist dieses Akteneinsichtsrecht in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union unmittelbar wirksam.

Zusammenfassend dreht die neue EuGH-Rechtsprechung die frühere Rechtslage zum Recht auf Akteneinsicht im finanzbehördlichen Verfahren um: Der Regelfall ist nach dieser neuen Rechtsprechung, dass das Finanzamt Akteneinsicht gewähren muss. Nur im Ausnahmefall – den es besonders begründen muss – kann es die Akteneinsicht bei ganz überwiegenden öffentlichen Interessen ablehnen. Die Finanzbehörde muss somit im Einzelfall konkret darlegen, aus welchen Gründen überwiegende öffentliche Interessen der Akteneinsicht entgegenstehen.

3. Kein Ausschluss des Anspruchs

In Ausnahmefällen kann der Anspruch auf Akteneinsicht ausgeschlossen sein. Für etwaige Ausschlussgründe ist jedoch das Finanzamt darlegungspflichtig und es trägt hierfür die Feststellungslast („Beweislast“).

Oft verweisen Finanzämter darauf, dass doch im Strafverfahren Akteneinsicht genommen werden könne. Dieser Hinweis geht jedoch meist fehl. Selbst eine erfolgte Akteneinsichtnahme im Strafverfahren lässt das Rechtsschutzbedürfnis und den Anspruch auf Akteneinsicht nicht grundsätzlich entfallen. Denn die Akteneinsicht (nur) im Strafverfahren erfolgt regelmäßig unter einem ganz anderen Blickwinkel als die im Besteuerungsverfahren. Von diesem verfassungsrechtlichen Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG kann nur abgesehen werden, wenn den Beteiligten die für die Besteuerung relevanten Unterlagen bereits vorliegen (so ausdrücklich Oberregierungsrat Figatowski, jurisPR-SteuerR 46/2020 Anm. 3). Dies gilt jedoch nicht bereits bei einer erfolgten Akteneinsicht in einem zu dem Besteuerungsverfahren korrespondierenden Strafverfahren, da es sich hierbei um unterschiedliche Verfahren handelt (vgl. dazu FG Hamburg v. 30.1.2012 – 4 V 4/12). Zudem sind in beiden Verfahren teilweise unterschiedliche Gesichtspunkte zu prüfen, so dass der Umfang der jeweiligen behördlichen Akten nicht identisch sein kann bzw. muss. Ein Beispiel für den unterschiedlichen Umfang zwischen Haftungs- und Strafakten nennt in der Literatur z.B. Oberregierungsrat Figatowski: „Bei der Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners sind diesem z.B. auch die für die Ausübung des Auswahlermessens der Finanzbehörde betreffenden Unterlagen anderer Haftender bekanntzugeben, auch wenn dadurch fremde steuerliche Verhältnisse offenbar werden“ (Oberregierungsrat Figatowski, jurisPR-SteuerR 46/2020 Anm. 3; vgl. dazu Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 364 AO Rz. 3).

Fazit und Praxishinweis

Im Ergebnis bestehen daher nach aktueller Rechtslage gute Gründe für einen Anspruch auf Akteneinsicht gegen das Finanzamt. Dieser Anspruch sollte im Einzelfall besprochen und bei Bedarf durchgesetzt werden. Oftmals zeigen sich Finanzbehörden mittlerweile flexibler, so dass sich ein Rechtsstreit in diesem Punkt erübrigen kann.

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